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Machine Age / Maschinenzeit
Laufmädchen in der Maschinenfabrik Oerlikon, 1934
© Jakob Tuggener-Stiftung

Jakob Tuggener »

Machine Age / Maschinenzeit

mit Urs Stahel, Kurator MAST – Manifattura di Arti, Sperimentazione e Tecnologia in Bologna und Martin Gasser

Kuratorenführung:

Sun 19 Nov 11:30

Fotostiftung Schweiz

Grüzenstr. 45
8400 Winterthur

+41 52 -234 10 30


www.fotostiftung.ch

Tue-Sun 11-18, Wed 11-20

Jakob Tuggener (1904–88) gehört zu den Ausnahmeerscheinungen der Schweizer Fotografie. Seine persönlichen und ausdrucksstarken Aufnahmen von rauschenden Festen der besseren Gesellschaft sind legendär, und sein Buch Fabrik von 1943 gilt als ein Meilenstein der Geschichte des Fotobuchs. Im Zentrum der Ausstellung "Maschinenzeit" stehen Fotografien und Filme aus der Welt der Arbeit und der Industrie. Sie reflektieren nicht nur die rasante technische Entwicklung von der Textilindustrie im Zürcher Oberland bis zum Kraftwerkbau in den Alpen, sondern zeugen auch von Tuggeners lebenslanger Faszination für alle Arten von Maschinen: von Webstühlen über Schmelzöfen und Turbinen bis zu Lokomotiven, Dampfschiffen und Rennautos. Er liebte ihren Lärm, ihre dynamischen Bewegungen und ihre unbändige Kraft, und er hielt sie in Bildern fest, die zwischen stiller Poesie und starker Expressivität oszillieren. Gleichzeitig beobachtete er die Männer und Frauen, die mit ihrer Arbeit den Motor des Fortschritts am Laufen hielten – nicht ohne anzudeuten, dass dereinst Maschinen die Menschen beherrschen könnten.

Jakob Tuggener kannte die Welt der Fabriken wie kaum ein anderer Fotograf seiner Zeit, hatte er doch bei der Firma Maag Zahnräder AG in Zürich eine Ausbildung als Maschi-nenzeichner absolviert und danach in deren Konstruktionsabteilung gearbeitet. Durch den Werkfotografen Gustav Maag war er auch in die Technik der Fotografie eingeführt worden. Als Folge der Wirtschaftskrise Ende der 1920er-Jahre wurde er jedoch entlassen, worauf er sich den seit seiner Kindheit gehegten Traum, Künstler zu werden, mit einem Studium an der Reimannschule in Berlin erfüllte. Knapp ein Jahr befasste er sich dort intensiv mit Plakatgestaltung, Typografie und Film und liess sich mit seiner Fotokame-ra von der Dynamik der Grossstadt mitreissen.

Nach seiner Rückkehr in die Schweiz begann er 1932 als freier Mitarbeiter für die Maschinenfabrik Oerlikon (MFO) zu arbeiten. Obwohl die Firma bereits einen eigenen Werkfotografen beschäftigte, wurde er mit der Aufgabe betraut, eine Art fotografische Innensicht des Betriebs zu erarbeiten. Ab 1937 schuf Tuggener auch eine Reihe 16mm-Kurzfilme – immer schwarzweiss und stumm und im Spannungsfeld zwischen Fiktion und Dokumentation. 1943, mitten im Zweiten Weltkrieg, erschien Tuggeners Buch Fabrik. Tuggener war mit dem nach den Gesetzen des Stummfilms konzipierten Buch seiner Zeit voraus. Weder seine kompromisslos subjektive Fotografie noch seine kritische Haltung passten zur bedrohlichen Lage, in der die Schweiz unter dem Schlagwort "Geistige Landesverteidigung" zu Einigkeit und Stärke aufgerufen war.

Obwohl das Buch kommerziell nicht reüssierte, wertete Tuggener Fabrik als grossen künstlerischen Erfolg und führte seine Auseinandersetzung mit den Themen Arbeit und Industrie weiter. Er produzierte zwei weitere Buchmaquetten: "Schwarzes Eisen" (1950) und "Die Maschinenzeit" (1952). Sie können als eine Art Fortsetzung des publizierten Buchs verstanden werden, das der Journalist Arnold Burgauer als einen "glühenden und sprühenden Tatsachen- und Rechenschaftsbericht von der Welt der Maschine, von ihrer Entwicklung, ihren Möglichkeiten und Grenzen" beschrieben hatte.

Schon 1930 in Berlin hatte Tuggener begonnen, an den damals berühmten Bällen der Reimannschule zu fotografieren. Obwohl Tuggeners Ballaufnahmen lange nur von einem kleinen Insiderpublikum wahrgenommen wurden, sahen viele in ihm schnell einen «meisterhaften Schilderer unserer Welt der starken Gegensätze», einer Welt im Spannungsfeld zwischen hell erleuchtetem Ballsaal und düsterer Fabrikhalle. Auch Tuggener selbst positionierte sich zwischen diesen Extremen, wenn er feststellte: "Seide und Maschinen, das ist Tuggener." Denn er liebte beides, den verschwenderischen Luxus und die schmutzige Arbeit, die schmuckbehangenen Frauen und die schwitzenden Männer. Er empfand sie als gleichwertig und wehrte sich dagegen, als Sozialkritiker eingestuft zu werden. Über die Fotografien aus der Fabrik schrieb der Kritiker Max Eichenberger: "Tuggener ist imstande, Fabrikphotographien zu machen, die nicht nur einen Maler, sondern auch einen Dichter offenbaren und überhaupt einen seltenen Magier und seltsamen Alchimisten, der, wenn auch in bescheidenen Mengen, Blei in Gold verwandelt."

Die Ausstellung "Jakob Tuggener – Maschinenzeit" umfasst Vintage- und spätere Abzüge aus den frühen 1930er bis in die späten 1950er-Jahre, die zum grössten Teil aus dem Nachlass des Fotografen stammen. Dazu kommen diverse Publikationen (auch die speziell für verschiedene Industriebetriebe geschaffenen Firmenporträts etwa der Maschinenfabrik Oerlikon oder der Rieter AG in Winterthur) und eine Vielzahl von Dokumenten, die den Kontext von Tuggeners Tätigkeit in der Industrie sowie seine persönliche Arbeitsweise beleuchten. In einem Nebenraum der Ausstellung wird zudem eine Auswahl seiner 16mm-Kurzfilme aus den Jahren 1937–70 gezeigt, die auf verschiedene Weise um das Thema «Mensch und Maschine» kreisen. Diese Filme wurden eigens für die Ausstellung neu digitalisiert (in Zusammenarbeit mit Lichtspiel / Kinemathek Bern).

Zur Ausstellung erscheinen zum ersten Mal im Steidl Verlag, Göttingen, in einer Box 12 Buchmaquetten als faksimilierte Erstausgaben sowie 14 Kurzfilme auf DVD, zusammen mit einem Begleitband mit Beiträgen von Martin Gasser und Severin Rüegg sowie einem Nachwort von Maria E. Tuggener. Der Begleitband sowie die Maquetten "Maschinenzeit" (1952) und "Uf em Land" (1953) sind während der Ausstellung als Einzelpublikationen erhältlich.

In Zusammenarbeit mit der Jakob Tuggener-Stiftung, Uster.