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NEUE ZEIT? 75 Jahre Kriegsende
Valery Faminsky: Berlin Mai 1945 © Valery Faminsky / Arthur Bondar’s Private Collection

NEUE ZEIT? 75 Jahre Kriegsende

Warschau 1939 | Ukraine 1941/42 | Berlin 1945

Valery Faminsky » Dieter Keller » & others

Exhibition: 12 Sep 2020 – 10 Jan 2021

Freundeskreis Willy-Brandt-Haus

Stresemannstr. 28
10963 Berlin

+49 (0)30-25993787


www.fkwbh.de

Tue-Sun 12-18

NEUE ZEIT? 75 Jahre Kriegsende
Valery Faminsky: Berlin Mai 1945 © Valery Faminsky / Arthur Bondar’s Private Collection

"NEUE ZEIT?"
Warschau 1939 | Ukraine 1941/42 | Berlin 1945
75 Jahre Kriegsende

Ausstellung: 12. September bis 10. Januar 2021

Gisela Kayser (Geschäftsführerin und künstlerische Leiterin Freundeskreis Willy-Brandt-Haus) ist für das Gesamtkonzept der Ausstellungen im Willy-Brandt-Haus verantwortlich. Die Ausstellung "NEUE ZEIT?" wurde von Ana Druga und Thomas Gust (Agentur und Verlag Buchkunst Berlin) kuratiert. Prof. Dr. Peter Steinbach (Historiker und Politikwissenschaftler) initiierte die Ausstellung "NEUE ZEIT?" und stellte die Fotografien des Archives "Warschau 1939" bereit. Die Fotografien Dieter Kellers wurden von Dr. Norbert Moos (Leiter des Forums für Fotografie, Köln) für die Ausstellung ausgeliehen und zusammengestellt. Arthur Bondar (Fotojournalist und Entdecker des Archivs Valery Faminskys) ermöglichte die Rückkehr der Bilder Faminskys nach Berlin. Uwe Neumärker (Direktor Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas) gilt besonderer Dank für seine Unterstützung und die Möglichkeit der Kooperation mit der Ständigen Konferenz der NS-Gedenkorte im Berliner Raum.

Die Ausstellung "NEUE ZEIT?" versammelt drei Fotoarchive: Die Aufnahmen eines unbekannten deutschen Soldaten nach dem Einmarsch in Warschau im Herbst 1939, Aufnahmen des dem Bauhaus nahestehenden Fotografen Dieter Keller von der ukrainischen Front 1941/42, sowie Fotografien des russischen Frontfotografen Valery Faminsky von der Befreiung Berlins und den ersten Friedenstagen in der Stadt im Mai 1945.

Thomas Gust
"BERLIN MAI 1945 – VALERY FAMINSKY"


Die Fotografien des in Moskau entdeckten Archivs des russischen Frontfotografen Valery Faminsky (1914–1993) von der Befreiung Berlins und den ersten Friedenstagen sind künstlerisch beeindruckende wie historisch wertvolle Zeitdokumente.

Valery Faminsky gelangt mit den ersten Soldaten im April 1945 in die umkämpfte Stadt. Seine eigentliche Aufgabe war die Dokumentation der medizinischen Versorgung und Logistik von Transporten verwundeter Soldaten für die militärmedizinischen Institute der Roten Armee. Mit diesen Legitimationen ausgestattet, kann er sich in der Stadt frei bewegen. Angetrieben von seinem fotojournalistischen wie künstlerischen Interesse widersetzt er sich dem verhängten Verbot des Fotografierens von Zivilbevölkerung, Not und Zerstörung.

Faminskys Fotografien schildern ohne jedes Pathos und jede Propaganda, dafür mit einem zutiefst humanistischen Blick die völlig zerstörte Stadt, die erschöpfte Bevölkerung und den Alltag der sowjetischen Truppen. Er zeigt die tiefe Sehnsucht nach Frieden, und sein Interesse gilt immer den individuellen Schicksalen von Menschen auf beiden Seiten der Front. Fremdarbeiter auf dem Weg in die Heimat, deutsche Flüchtlinge, Zivilisten auf der Suche nach Angehörigen, Lebensmitteln und Wasser. Ein Alltag zwischen den Ruinen, der aus extremen Lebenssituationen besteht. In diesen Bildern begegnen sich Menschen, nicht Sieger und Besiegte.

Am 24. Mai 1945 kehrt Faminsky mit seinen Aufnahmen nach Moskau zurück. Er veröffentlicht diese Bilder nie. Sie werden in seinem Nachlass von den Enkeln entdeckt, und diese bieten das knapp 500 Negative umfassende Archiv im Internet an. Der in Moskau lebende ukrainische Fotojournalist Arthur Bondar entdeckt und erwirbt das Archiv 2017 und macht die Bilder zum ersten Mal der russischen Öffentlichkeit zugänglich.

Publikation: BERLIN MAI 1945 – VALERY FAMINSKY
Herausgeber Thomas Gust, Ana Druga, Arthur Bondar, Joseph Dilworth
Verlag Buchkunst Berlin
www.buchkunst-berlin.de
Auszeichnung Deutscher Fotobuchpreis 2019/20 Silber/Shortlist

DIETER KELLER – UKRAINE 1941/42

Dieter Keller (1909–1985), als Sohn des erfolgreichen Inhabers des Franck-Kosmos Verlagshauses geboren, war vor und während des 2. Weltkrieges eng mit Künstler*innen der Neuen Sachlichkeit und des Bauhauses befreundet. Der über viele Jahre gepflegte Kontakt zu Willi Baumeister, Alexej von Jawlensky, Ida Kerkovius und eine in über 90 Briefen belegte Freundschaft mit Oskar Schlemmer formten sein künstlerisches Sehvermögen und beeinflussten seine fotografischen Bildkompositionen wesentlich.

1941/42 war Dieter Keller als deutscher Soldat im Grenzgebiet zwischen Ukraine und Weißrussland stationiert. In dieser Zeit gelang es ihm trotz eines strengen militärischen Verbots, Zivilisten und Kriegsopfer zu fotografieren, mehrere Filme heimlich zu belichten und nach Deutschland zu schmuggeln. Keller fotografierte mit einem sowjetischen Leica-Nachbau, einer sogenannten Fedka. Nach dem Krieg entwickelte er die Kleinbildfilmrollen in seinem Haus in Stuttgart-Vaihingen und fertigte 201 Vergrößerungen als Unikate an. Die auf der Trägerbasis Nitrocellulose hergestellten Negativfilme verbrannten 1958 durch Selbstentzündung.

Dieter Keller benutzt sehr früh die Mittel der seriellen und informellen Fotografie und erzeugte filmisch anmutende Bildsequenzen, um eine subjektive Realitätserfahrung anzuregen. Die fotografische Übertragung von Bildern der Grausamkeit und apokalyptisch anmutender Zerstörung in abstrahierende und formale Bildkonstruktionen führt daher bei Keller nicht zu dem gewohnheitsmäßig emotionalen Verflachungs- und Abstumpfungsprozess dokumentarischer Fotografie, sondern intensiviert die subjektive Betroffenheit. Auch nach heutigen Maßstäben folgt Dieter Keller einer modern anmutenden Bildästhetik, die einerseits der Prägung durch seine Künstlerfreunde zu verdanken ist, andererseits aber auch deutlich macht, dass der künstlerisch geschulte Fotograf der Bauhauszeit die ästhetische Wahrnehmung generell als Schlüssel zur Realitätsverarbeitung und psychischen Bewältigung zu nutzen wusste. Insofern fügen sich seine verstörenden Bilder von Kriegsgräueln an der Zivilbevölkerung in die europäische Bildtradition von Kriegsdarstellungen ein, wie sie durch die Schreckensbilder von Hieronymus Bosch, Francisco de Goya oder Otto Dix geprägt wurde.

Publikation: DIETER KELLER – DAS AUGE DES KRIEGES Ukraine 1941/42
Herausgeber Dr. Norbert Moos
Verlag Buchkunst Berlin
www.buchkunst-berlin.de

NEUE ZEIT? 75 Jahre Kriegsende
Dieter Keller: Ukraine 1941/42 © Dr. Norbert Moos

WARSCHAU, HERBST 1939
Fotograf unbekannt


Das Archiv, welches 1993 auf einem niederbayerischen Dachboden von dem Passauer Fotografen Michael Geins gefunden wurde, zeigt die Besetzung Warschaus im Herbst 1939. Der bis heute unbekannte Fotograf, welcher im Umfeld der deutschen Wehrmacht zu suchen ist, schien sich in der Stadt frei bewegen zu können. Seine Aufnahmen stammen aus verschiedenen Stadtbezirken, auch aus dem jüdischen Viertel. Sie zeigen neben den Kriegsschäden und Stadtansichten das sich verändernde Leben der Bevölkerung in der besetzten Stadt, welche am 28. September 1939 kapituliert hatte. Der Fotograf dokumentierte das ganze Ausmaß der Zerstörung Warschaus nach dreiwöchigen schweren Bombenangriffen und einer Kesselschlacht. Zwölf Prozent aller Gebäude wurden vernichtet, und knapp 26.000 Zivilisten starben. Die Menschen wurden auf der Straße und auf noch vorhandenen Grünflächen begraben. Wir sehen in ausgezehrte Gesichter, in die sich der Hunger und die Unsicherheit vor dem, was kommen wird, eingeschrieben hat. Doch kaum ein Gesicht trägt Anzeichen von Furcht.

Das Warschauer Ghetto wurde im August 1940 errichtet und war das größte Sammellager für den Transport in das Vernichtungslager Treblinka. Vor dem Zweiten Weltkrieg hatte Warschau die größte jüdische Gemeinde Europas, und – nach New York – die zweitgrößte in der Welt. Hier lebten 337.000 Juden. In ganz Polen lebten kurz vor Ausbruch des Krieges 3,5 Millionen Juden. Nach 5 Jahren deutscher Besatzung waren es noch ungefähr 300.000. In Warschau gab es keine Juden mehr. Doch im Herbst 1939 wissen die jüdischen Einwohner Warschaus davon noch nichts, sie tragen noch nicht den gelben Davidstern auf ihren Kleidern. Wir Nachgeborenen kennen ihr Schicksal.

Dem "blinden Blick" des Täters (Esther Dischereit) und dessen Aufnahmen steht unser historisch bewusstes Sehen gegenüber, welches diese Fotografien neu deutet und liest. Durch das Wissen der Nachwelt erhalten diese Fotografien ihren eigentlichen Wert und werden zu wichtigen Dokumenten. Bombenangriffe und die Belagerung liegen hinter den Menschen, die wir auf den Bildern sehen. Der Alltag unter der Besatzung nimmt allmählich Formen an. Keiner der Überlebenden ahnt, was dieser Stadt und ihrer Bevölkerung noch bevorsteht: eine neue Zeit?

Publikation: Es war einmal. Warschau im Herbst 1939
Herausgeber Stefan Rammer, Prof. Dr. Peter Steinbach
NEUE PRESSE Verlag

NEUE ZEIT? 75 Jahre Kriegsende
Warschau 1939 © Stadtarchiv Passau
NEUE ZEIT? 75 Jahre Kriegsende
Valery Faminsky: Berlin Mai 1945 © Valery Faminsky / Arthur Bondar’s Private Collection