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Girl with a Leica. 1934
Artist print, Private collection
© A. Rodtschenko Archive / VG Bild-Kunst, Bonn 2008

Alexander Rodchenko »

Exhibition: 12 Jun – 18 Aug 2008

Martin-Gropius-Bau

Niederkirchnerstr. 7
10963 Berlin

Gropius Bau

Niederkirchnerstr. 7
10963 Berlin

+49 (0)30-254860


www.gropiusbau.de

Wed-Mon 11-19

Alexander Rodtschenko Veranstalter: Berliner Festspiele in Kooperation mit der Stadtregierung und dem Kulturkomitee von Moskau. Eine Ausstellung des Moscow House of Photography. Kuratiert von Olga Sviblova, Direktorin. Alexander Rodtschenko ist einer der großen Künstler des russischen Konstruktivismus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Sein Werk ist weltweit bekannt geworden und zählt bis heute zu den wichtigsten Positionen der Moderne. Bevor er Mitte der 1920er Jahre die Fotografie als neues Medium für sich entdeckte, hatte er sich bereits als vielseitig tätiger und innovativer Künstler in Moskau hervorgetan. Seine Auffassung von Fotografie verstand sich als radikaler Bruch mit der Kunstfotografie der Jahrhundertwende. Der fotografische Blick sollte revolutioniert werden, ein „neues Sehen“ die Gesellschaft und den Menschen – in einer Zeit epochaler Veränderungen in Russland und in Europa – verändern.

Alexander Rodtschenko war ein junger, links orientierter Künstler, als 1917 die Oktoberrevolution in Russland stattfand. Er wurde 1891 in St. Petersburg als Sohn eines Theaterequisiteurs geboren. Die Familie zog 1901 nach Kazan, wo Rodtschenko ab 1910 an der dortigen Kunstschule studierte. Dort lernte er seine spätere Frau, die Künstlerin Warwara Stepanowa kennen. 1914 siedelte Rodtschenko nach Moskau über und studierte kurze Zeit an der Stroganow-Schule für angewandte Kunst. Bereits zu diesem Zeitpunkt lehnte er die etablierten Auffassungen einer sensualistischen bürgerlichen Kunst ab und beschäftigte sich mit abstrakten Formen.

1916 lernte er Wladimir Tatlin kennen, der ihn zu der von ihm organisierten Ausstellung „Magazin“ einlud, an der neben anderen auch Kasimir Malewitsch, Ljubow Popowa und Alexandra Exter teilnahmen. Nach der Revolution engagierte sich Rodtschenko wie viele andere Avantgardekünstler für den Aufbau neuer Strukturen der künstlerischen Produktion in der jungen Sowjetunion. Von 1918–21 war er Mitglied von IZO Narkompros (Abteilung Bildende Kunst im Volkskommissariat für Aufklärung). 1920 wirkte er als Gründungsmitglied des INChUK (Institut für künstlerische Kultur) und entwickelte mit Wassily Kandinsky und anderen Künstlern die Idee eines Netzes von Kunstmuseen im ganzen Land. Er lehrte von 1920–1930 an der Metallfakultät der WChUTEMAS/WChUTEIN (Höhere Künstlerisch-Technische Werkstätten).
1921 proklamiert er das Ende der Tafelmalerei, nachdem seinem wesentlichen Beitrag zur Abstraktion – Kompositionen aus Punkten und Linien oder Flächen ohne Perspektive – schwebende Raumkonstruktionen gefolgt waren. 1922 nahm er mit diesen Arbeiten an der „Ersten Russischen Kunstausstellung“ in der Galerie Van Diemen in Berlin teil.

In den weiteren künstlerischen Diskussionsprozessen der zwanziger Jahre rückte die Rolle der Technik stärker ins Interesse. Im Kreis der Konstruktivisten, zu denen Rodtschenko gehörte, wurde die Losung ausgegeben: „Kunst in die Produktion“. Rodtschenko entwickelte daraus die Vorstellung des Künstler-Ingenieurs, der Kunst primär als Entwerfen von Gebrauchsgegenständen auffasst. Er arbeitete auf dem Gebiet der Werbung mit Wladimir Majakowski zusammen, entwarf Wandgestaltungen, Transparente und Kioske.

Für Majakowskis Gedichtband „Pro eto“ entwickelte Rodtschenko die ersten Fotomontagen aus Wirklichkeitsfragmenten als eigenständige Deutungen zum literarischen Text. Hier gehört er auch zu den Begründern der modernen Typografie. Gleichzeitig wandte er sich entschieden der Fotografie zu. 1924 kaufte sich Rodtschenko den ersten Fotoapparat. Es entstehen die ersten Porträts seiner Familie, von Künstlerfreunden und Kollegen der Zeitschrift LEF wie Wladimir Majakowski, Ossip Brik und Ljubow Popowa. 1925 gestaltete er den Sowjetischen Pavillon für die Ausstellung „Exposition Internationale des Arts Décoratifs et Industriels modernes“ in Paris. Dort kaufte sich Rodtschenko einen neuen Fotoapparat, eine Ica 4x6,5. Diese kleinere Kamera ermöglichte es ihm, neue Motive und Sichtweisen im Freien zu erkunden. Nach Moskau zurückgekehrt, begann er, die Stadt und ihre baulichen und sozialen Veränderungen zu dokumentieren. Eine seiner berühmtesten Serien, „Häuser in der Mjasnitzkaja-Straße“, zeigt die Architektur aus extremer Untersicht. In den folgenden Jahren streifte er durch Moskau und fotografierte die neuesten konstruktivistischen Bauwerke, Arbeiterklubs, Fabriken mit modernen Maschinen und Großküchen, Telegrafenmasten, Elektrizitätswerke, Treppen und Parks. Er hält die Motive in extremen Aufsichten und Untersichten fest, in Diagonalen, Anschnitten und Details. Für das damalige herrschende Sehempfinden war dies ein ungewöhnliches Verfahren. Doch die neuen Aufgaben und Themen verlangten seiner Meinung nach eine neue Form der Darstellung:
„Wir müssen unser optisches Erkennen revolutionieren. Wir müssen den Schleier von unseren Augen reißen, der ‚vom Nabel aus‘ heißt.“ „Und die interessantesten Blickwinkel der Gegenwart sind die von oben nach unten und von unten nach oben und ihre Diagonalen“. (1928)

Die Aufnahmen wurden in der 1923 von ihm mitbegründeten Zeitschrift LEF, später in Novy LEF veröffentlicht, für die Rodtschenko auch die Titelseite gestaltete. In Novy LEF veröffentlichte er seine Gedanken zur Aufgabe der Fotografie im Sinne wahrnehmungspsychologischer Überlegungen. „Die moderne Stadt mit ihren vielgeschossigen Häusern, die Werksanlagen, Fabriken usw. die zwei- oder dreigeschossigen Schaufensterzonen, Straßenbahnen, Autos, dreidimensionale Leuchtreklamen, Ozeandampfer, Flugzeuge – all das (…) – hat notwendigerweise die überkommene Psychologie der Wahrnehmung um einiges verändert. Es sieht so aus, als könne nur der Fotoapparat das moderne Leben abbilden.“ (1928)

Doch ab 1928 sah sich Rodtschenko zunehmend scharfer Kritik ausgesetzt. „Gefährlich“ und „bürgerlich-formalistisch“ ließ die Zeitschrift Sowjetskoje Foto verlauten, kaum waren die ersten dieser Arbeiten in der Zeitschrift Novy LEF erschienen. Er wird als Anhänger der experimentellen Fotografie von Moholy-Nagy und Man Ray diffamiert. Politischer Hintergrund ist eine stärkere Indienstnahme der Fotografie als Mittel der sozialistischen Massenkommunikation, die eindeutig ‚lesbar‘ sein sollte. Sowjetische Redaktionen forderten wieder herkömmliche Landschafts-, Porträt- oder Dokumentarfotografie. 1930 sah sich Rodtschenko gezwungen, sein Lehramt bei der WChUTEMAS niederzulegen, 1931 wurde er aus der Gruppe Oktjabr, die sich 1928 aus Novy LEF gebildet hatte, ausgeschlossen.

In den dreißiger Jahren arbeitete Rodtschenko mit seiner Frau Warwara Stepanowa als Gestalter für mehrere Ausgaben der Zeitschrift SSSR na strojke (UdSSR im Aufbau). 1933 reiste er für eine Spezialausgabe der Zeitschrift nach Karelien zur Dokumentation des Baus des Weißmeer-Kanals, der innerhalb von 500 Tagen errichtet werden sollte, größtenteils von Strafgefangenen. In der Zeit der großen Schauprozesse in den dreißiger Jahren begann er wieder zu malen, vor allem Motive aus der Zirkuswelt, die er auch fotografierte. Für 1940 ist eine eigene Ausgabe zum Zirkus in der Zeitschrift SSSR na strojke geplant, die durch den Ausbruch des 2. Weltkrieges nicht mehr realisiert wird. Nach dem Krieg, schon gesundheitlich angeschlagen, experimentierte er mit Farbfotografie und arbeitete als Gestalter. Am 3. Dezember 1956 starb Alexander Rodtschenko in Moskau.

Die im Martin-Gropius-Bau gezeigte Ausstellung zeigt die vielen Facetten von Rodtschenkos bahnbrechendem fotografischen Werk: den Beginn mit den Fotomontagen, die Porträts der Freunde und Familie, teils als Mehrfachansichten, die Experimente mit Perspektiven, Bildstrukturen, Licht- und Schattenwirkungen, die Reportagen mit der Montage von Text und Bild, aber auch die Serie vom Zirkus und die letzten Experimente mit Farbfotografie. Erstmals sind Arbeiten aus dem von den Erben verwalteten Nachlass zu sehen. Die Ausstellung wurde von Olga Sviblova, Direktorin des „Haus der Fotografie Moskau“ kuratiert.

Katalog
Moscow House of Photography (Hrsg.):
„Alexander Rodschenko. Revolution in Photography“
Moskau, 2008. 223 Seiten