Tamara Lorenz »
SYMPTOMSACHE
Exhibition: 7 Sep – 2 Nov 2014
Sat 6 Sep 16:00
Forum für Fotografie
Schönhauser Str. 8
50968 Köln
Wed-Fri 14-18 . Sat 12-18 . Sun 12-16
Forum für Fotografie
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50968 Köln
+49 (0)221-3401830
mail@forum-fotografie.info
www.forum-fotografie.info
Wed-Fri 14-18 . Sat 12-18
Tamara Lorenz
"Symptomsache"
Ausstellung: 7. September bis 2. November 2014
Eröffnung: 6. September, 16 Uhr
Das Forum für Fotografie präsentiert eine Reihe neuer fotografischer Arbeiten der Fotokünstlerin Tamara Lorenz, in denen sie sich mit unserem Realitätsverständnis kritisch-analytisch auseinandersetzt. In ihren Werkserien wie u.a. den „Phänotypen“ und “Axiomen“ ist sie mit methodischer Akribie und feiner Ironie stets unserem Wahrnehmungsverhalten im Umgang mit dem Medium Fotografie auf der Spur. So streng geometrisch der Kompositionsaufbau ihrer Arbeiten zunächst erscheint, so komplex und undurchdringlich sind die bildimmanenten Raumverhältnisse, die eine geheimnisvolle mediale Parallelwelt entwerfen und uns immer aufs Neue herausfordern, in der Schnittstelle der Medien Fotografie und Objektkunst eigene kreative Orientierungs- und Interpretationsmuster zu entwickeln.
„Was sehen wir, wenn wir Fotografie betrachten? Die Faszination der Fotografie liegt in ihrem besonderen Verhältnis zur Wirklichkeit. In dem Maße, wie sich der Wirklichkeitsbegriff wandelt, verändert sich auch die Fotografie. Tamara Lorenz gehört einer Generation an, für die Objektivität im Sinne der Übereinstimmung von Realität und Bild unmöglich geworden ist. Jede Wahrnehmung ist vollständig subjektiv!, diese in den Siebzigerjahren von Vordenkern wie den Radikalen Konstruktivisten in die Welt gesetzte Zumutung ist inzwischen zum Gemeinplatz geworden. Wenn es aber die Realität nicht gibt, wie kann es wahre Bilder geben? Das Erstaunliche ist, dass sich aus der wertfreien Betrachtung dieser Erkenntnis heraus neue Wege öffnen. Statt den Wirklichkeitsverlust der Postmoderne mit rückwärtsgewandter Larmoyanz zu beklagen, kann die innere Verabschiedung von einer allgemein verbindlichen und bindenden Wirklichkeit als Befreiung empfunden werden.
Der kreative Prozess, wie ihn Tamara Lorenz praktiziert, erinnert an naturwissenschaftliche oder philosophische Versuchsanordnungen. Es käme ihr ohnehin nicht in den Sinn, einen Ausschließlichkeitsanspruch der Kunst auf Kreativität zu postulieren. Was zählt, ist das Individuum in seinem Streben nach Erkenntnisgewinn. In ihrem erweiterten Kunstverständnis gehen Fotografie und Skulptur enge, sich gegenseitig befruchtende Beziehungen ein, aber auch Architektur, Film und Musik spielen als Kategorien der Gestaltung eine tragende Rolle, und – last but not least – die Sprache (…).
Die Konstruktionen, die Tamara Lorenz in ihren analogen Fotografien abbildet oder repräsentiert, sind solche Modelle. Modelle, deren Existenz einzig und allein der Ontogenese des Wahrnehmungs-, Denk- und Erinnerungsvermögens dient. Sei es als in einer Raumecke aufgebaute Konstruktion aus Holzlatten, -brettern und -stäben wie bei den Simulatoren, die aus zwei verschiedenen Standpunkten fotografiert werden, so dass der Betrachter oder die Betrachterin, zwischen zwei gleichermaßen wahren Bildern hin- und hergerissen, sich ermächtigt fühlen darf, die tatsächliche Situation im Raum rekonstruieren zu können. Bis er feststellt, dass die verdoppelten Informationen der besseren räumlichen Verortung nicht dienlich sind – im Gegenteil. Die aus unterschiedlichen Perspektiven gewonnenen Aussagen scheinen teilweise widersprüchlich. Sei es, dass wie bei den Axiomen mittels Ausleuchtung oder einer zwischen Boden und Wand eingezogenen Papierbahn die räumlichen Verhältnisse gänzlich außer Kraft gesetzt werden, während ausgeklügelte Schattenwirkungen der Gegenstände für eine Art Subtext sorgen. Die aus dem gerade Verfügbaren zusammengesetzten Gegenstände – man erkennt Vierkanthölzer, Metallstäbe, Formen aus Karton – und ihre Schatten lassen sich schließlich nicht mehr voneinander unterscheiden, vor allem, wenn wie in der Gruppe der ProZOrd (2010 – 2012) der Hintergrund mit tiefschwarzem Molton ausgelegt ist.
Auch die neuen Fotografien zeigen eine im ersten Moment klare Situation, die sich zu einer logisch nicht nachvollziehbaren Komplexität verdichtet. Sie zu betrachten heißt, sich selbst beim Sehen zuschauen. Linien fluchten in den Tiefenraum und klappen wieder zurück zur Fläche, um plötzlich wieder nach vorne, aus dem Bild heraus zu stoßen. Flächen werden zu Körpern und dann wieder zu einer nach vier Seiten abgeschlossenen Hohlform, deren strikte Begrenzungen die filigranen Linien einer Raumzeichnung spielerisch durchkreuzen. Wie es sich für Modelle gehört, trägt das bühnenhaft eingesetzte Licht viel zu den irritierenden Kippmomenten zwischen dreidimensionaler Körperlichkeit und planer Fläche bei. Es scheint gleichzeitig aus dem Raum der Betrachtung und aus dem Bild selbst zu kommen.
Perspektive, Distanzen, Proportionen und Gewichtung, Entmaterialisierung und haptische Dinghaftigkeit an widerständigen offenen Rändern – die kompakten, kulissenhaften Sets transportieren eine nicht an der Realität überprüfbare Verschmelzung verschiedener Ebenen mit unklarer Referenz. Der Wirklichkeitsverweis ist da, aber wie bei einem Kaleidoskop in viele Teilchen zersplittert. Die Fotografie generiert ihre eigene mediale Realität analog zur Paradoxie der Wirklichkeit. Und offenbar simuliert diese Parallelwelt Wirklichkeit in einer Form, die dem Gehirn reichlich Reflexions- und Wahrnehmungsfutter anbietet: Wir stehen staunend davor und sind mit allen Sinnen gefesselt. Wir stürzen in ein Abenteuer, das so nur die Imagination bietet. Und das ich bisher nirgends besser formuliert fand, als in dem eingangs zitierten Gedankengang von Donna Tartt, dessen zweiter Teil folgendermaßen lautet: Denn zwischen der `Realität´ auf der einen Seite und dem Punkt, an dem der Geist die Realität trifft, gibt es eine mittlere Zone, einen Regenbogenrand, wo die Schönheit ins Dasein kommt, wo zwei sehr unterschiedliche Oberflächen sich mischen und verwischen und bereitstellen, was das Leben nicht bietet: und das ist der Raum, in dem alle Kunst existiert und alle Magie. (Text: Sabine Elsa Müller)
Zur Ausstellung erscheint eine von der Künstlerin gestaltete Broschüre mit einem einleitenden Text von Sabine Elsa Müller.