Irina Ruppert »
Soldaten_0008-0129
Eyemazing Susan's Annual Pictorial 2014
Exhibition:
Irina Ruppert
"Soldaten_0008-0129"
Darf man so mit gefundenen Fotografien fremder Menschen umgehen? Tote Insekten auf die Passbilder wahrscheinlich längst verstorbener Soldaten kleben und dadurch mit der Rezeption des Betrachters spielen? Ist das nicht pietätlos?
Vielleicht sind es aber auch andere Fragen, die den Betrachter dieser Bilder beschäftigen: Was mögen die Augen der Soldaten gesehen haben, was ihre Ohren gehört? Wie viele Kameraden und Lieben haben sie verloren? Was war ihre Geschichte, bevor sie verschwanden und sich ihre auf Fotopapier verewigten Gesichter auf den Dachböden und Flohmärkten dieser Welt verstreuten? Bevor ihre Abbilder in alten Kartons und verstaubten Schubladen vergessen wurden, begleitet nur noch von einer verendeten Spinne oder einer vertrockneten Motte, die das anonyme Grab mit ihnen teilten?
Die Soldaten aus der umfangreichen internationalen Passbildsammlung von Irina Ruppert sind Relikte aus der Vergangenheit und verraten uns doch nichts über ihre individuellen Geschichten. Ihre Uniformen zeugen von einer Zeit des Dienens und verweisen auf Herkunft und militärischen Rang – doch wissen wir nicht, was die jungen Männer erlebt haben. Waren sie ehrenhafte Landesverteidiger oder Deserteure, Täter oder Opfer? Für uns werden sie namenlos bleiben, identitätslose Nummern, wie sie es einst im Krieg waren. Unbekannte ohne Biografie – für ewig festgelegt auf ihre Rolle als Soldaten.
Die vergebliche Suche nach einer Identität und der Umgang mit der Unwissenheit bilden das Fundament der Arbeit „Soldaten 0008-0129“. Denn auch der Großvater von Irina Ruppert diente im Zweiten Weltkrieg und hinterließ ein Leben mit vielen unbeantworteten Fragen. Als Russlanddeutscher in der Ukraine wurde er beim Einmarsch der deutschen Wehrmacht von dieser zum Kriegsdienst eingezogen und floh später vor den Russen nach Hamburg, wo er 25 Jahre lebte – getrennt von seinem Heimatland, von seiner Frau und Kindern. Was war seine Rolle im Krieg? Wem hat er gedient, wen hat er verraten? Wie viel Blut klebte an seinen Händen? Die Nachforschungen der Künstlerin und Fotografin bei der deutschen Wehrmachtsauskunft waren erfolglos – es wurden keine Einträge über ihren Großvater gefunden. Seine Vergangenheit bleibt ein gut behütetes Geheimnis. So spiegelt sich in den Soldatenporträts auch die Auseinandersetzung einer ganzen Generation mit der Sprachlosigkeit ihrer Eltern und Großeltern. Die Frage nach der Schuld, nach der dunklen Seite des Krieges, die nicht ans Licht kommen sollte und in der Verdrängung vielleicht leichter zu ertragen war.
Symbolisch verkörpert durch die toten Insekten, umgibt die uniformierten Passbilder eine Ahnung des Todes. Diese Fliegen und Bremsen, Bienen und Spinnen, die wahrscheinlich ganz unschuldig im Haushalt verendet sind, erinnern an Vergehen und Vergessen, das Töten und Getötetwerden, an eine Zukunft, die zur Zeit der Porträtaufnahmen noch nicht auszudenken war. Wie Mahnungen verweisen die Bildcollagen auf die Vergänglichkeit alles Irdischen und zeigen, dass letztendlich weder diese anmutigen Soldaten noch die wenig geschätzten Insekten Gewalt über das Leben haben. Während Letztere ohnehin kurzlebig sind, trieb der Krieg viele junge Männer vor der Zeit in den Tod. Ob es Naivität war oder Alternativlosigkeit, die sie zur Verteidigung ihres Vaterlandes führten, spielt keine Rolle mehr – in ihren Uniformen bestehen sie als Funktionsträger fort und sind damit alle gleich.
Intuitiv arrangiert Irina Ruppert die verschiedenen Insekten auf den Passbildern: Eine Mücke legt ihren zarten Flügel über die Augen eines Soldaten. Ein auf dem Rücken liegender Käfer thront wie ein Turban auf dem Kopf eines anderen. Eine Fliege haftet einem Abzeichen gleich an einer Jacke. Selbst ein Vogel ist dazu gekommen, platziert neben einem uniformierten Jungen, der nicht mehr Kind sein durfte, streckt er seine erstarrten Beine in die Luft. Mal anrührend und poetisch, mal frech oder auch grotesk wirken diese Anordnungen und erinnern damit an Rupperts Arbeit „Blumenstück“ aus dem Jahr 2010. Auch hier gehen verschiedene Objekte eine Symbiose ein: Allmählich welkende Blumen in improvisierten Töpfen und Behältern verbinden sich zu leuchtenden und zugleich melancholischen Stillleben. Auch hier der Verweis auf Vergänglichkeit, Verlust und das Vergehen in der Natur. Ganz zurückgenommen jedoch, ohne Anklage und Dramatik.
Und so sind auch die Soldatenporträts nicht als Schuldzuweisung zu verstehen, sondern eher als eine Anregung zur Beschäftigung mit einer vergangenen und mitunter totgeschwiegenen Zeit. Sie stellen intime Fragen an den Betrachter – nach der eigenen Familiengeschichte und Kriegserfahrung; nach dem Recht darauf erinnert zu werden; nach den Wahrheiten, die sich in Archiven finden lassen. In ihrer Offenheit ermöglichen sie individuelle Zugänge und Assoziationen. Sie halten Erinnerung in Bewegung und verweisen zugleich auf eine von Konflikten geschüttelte Gegenwart und das beständige Wechselspiel von Krieg und Frieden. (Text: Sophia Greiff)