Adam Broomberg & Oliver Chanarin »
Don't Start With The Good Old Things But The Bad New Ones
Exhibition: 30 Sep – 4 Dec 2016
Thu 29 Sep 19:00
C/O Berlin
Hardenbergstr. 22-24
10623 Berlin
+49 (0)30-28444160
info@co-berlin.org
www.co-berlin.org
Daily 11-20
Adam Broomberg & Oliver Chanarin
"Don‘t Start With The Good Old Things But The Bad New Ones"
Ausstellung: 30. September bis 4. Dezember 2016
Eröffnung: Donnerstag, 29. September, 19 Uhr
Eine Ausstellung im Rahmen des EMOP – European Month of Photography Berlin 2016
Krieg, Gewalt, Terror, Mord und Genozid – durch die Menschheitsgeschichte zieht sich eine blutige Spur der Brutalität. Das Narrativ des Konflikts ist tief in unserem kollektiven wie individuellen Bewusstsein verankert. Und seit ihrer Erfindung zieht es die Fotografie an die Orte menschlichen Leids und Unglücks. Die Künstler Adam Broomberg & Oliver Chanarin haben zwei höchst einflussreiche Bücher – Bertolt Brechts Kriegsfibel sowie die Bibel – zweckentfremdet und nutzen sie zu einer Auseinandersetzung mit der medialen Dokumentation, Veröffentlichung und Verbreitung solcher Bilder. Dabei stellen sie Textstellen, die von konkreten Gewalttaten handeln, Bildern von oftmals schockierender Brutalität oder Zärtlichkeit gegenüber. Die im Internet oder im Archive of Modern Conflict gefundenen Bilder dienen dazu, einen allzu leichten Konsum von Text und Bild zu verhindern. Auf diese Weise hinterfragt das Künstlerduo unsere Sehgewohnheiten und zwingt uns, zu kritischen Betrachtern zu werden, die sich nicht teilnahmslos in dem Spektakel verlieren.
War Primer 2 ist ein in limitierter Auflage erschienenes Werk, das die Seiten von Bertolt Brechts Kriegsfibel aus dem Jahr 1955 regelrecht inkorporiert. Bertolt Brechts Original, das Ergebnis fast drei Jahrzehnte währender unregelmäßiger Tätigkeit, ist eine Sammlung von
Zeitungsausschnitten, denen er jeweils ein vierzeiliges Gedicht, ein sogenanntes Foto-Epigramm, zur Seite stellte. Bertolt Brecht betrachtete die affirmative Funktion der Fotografie im kapitalistischen Wirtschaftssystem mit großem Unbehagen und bezeichnete Pressefotografien als „Hieroglyphen“, die der Entzifferung bedürften. Adam Broomberg & Oliver Chanarins War Primer 2 ist eine späte Fortsetzung dieses Werks. Während sich Bertolt Brechts Kriegsfibel Bildern des Zweiten Weltkriegs widmet, befasst sich War Primer 2 mit Bildern, die auf beiden Seiten des sogenannten „Antiterrorkriegs“ entstanden sind. In einem Akt, der Verrat und Hommage zugleich ist, interpretieren Adam Broomberg & Oliver Chanarin das Original von Bertolt Brecht neu und vermitteln uns dabei ihre Kritik an den Bildern aktueller Konflikte.
Bei der Recherche für War Primer 2 im Bertolt-Brecht-Archiv in Berlin stießen Adam Broomberg & Oliver Chanarin auch auf Bertolt Brechts persönliches Bibelexemplar, das er mit ausgeschnittenen Zeitungsbildern versehen hatte. Dieser merkwürdige Gegenstand inspirierte die Künstler zur Arbeit an einer eigenen illustrierten Bibel mit dem Titel Divine Violence. Zu diesem Zweck wandten sie sich erneut an das Archive of Modern Conflict in London. Beim Durchstöbern des Archivs stand Adam Broomberg & Oliver Chanarin die zentrale Lehre des Philosophen Adi Ophir vor Augen: dass Gott sich vornehmlich in Form von Katastrophen offenbart, und dass die Machtstrukturen in der Bibel denen moderner Herrschaftssysteme entsprechen. Gewalt, Unheil und die Absurdität des Krieges sind in diesem zweiten Projekt umfangreich dokumentiert. Das Format ahmt sowohl die genaue Gestaltung als auch die physische Form der King-James-Bibel nach. Indem sie sich bei der Bildauswahl von Elementen des Originaltextes leiten ließen, setzen sich die Künstler mit Fragen der Urheberschaft sowie mit jenen stillschweigenden Kriterien auseinander, anhand derer Gewalt als nachgewiesen gilt.
In beiden Serien übertragen die Künstler den Brecht’schen Verfremdungseffekt auf visuelle Medien – genauer gesagt: auf heutige Arbeitsweisen der Dokumentarfotografie. Im Theater ergibt sich dieser Effekt, wenn die Handlung unterbrochen wird, indem einzelne Figuren aus ihren Rollen treten, um das Geschehen direkt mit dem Publikum zu besprechen. In den Arbeiten von Adam Broomberg & Oliver Chanarin ist es das Bild, das verstörend wirkt und dadurch den Betrachter vom Inhalt entfremdet, wobei es zugleich eine neue Reflexionsebene schafft.
Die von Ann-Christin Bertrand kuratierte Ausstellung umfasst rund 90 Bilder und wird anlässlich des 10. Europäischen Monats der Fotografie eröffnet. Zeitgleich erscheint auch Adam Broomberg & Oliver Chanarins neues Buch Humans and Other Animals, das der Kehrer Verlag in deutscher Übersetzung unter dem Titel Menschen und andere Tiere herausbringt.
Adam Broomberg wurde 1970 in Johannesburg geboren und ging zum Studium nach London. Oliver Chanarin wurde 1971 in London geboren und zog später nach Südafrika, wo sich die beiden schließlich in den 1990er Jahren kennenlernten. Sie arbeiteten zunächst als Fotografen und Bildkünstler für die Zeitschrift Colors, bevor sie in London ihr eigenes Studio gründeten. Gemeinsam haben sie bislang neun Monografien veröffentlicht, darunter Holy Bible, Spirit is a bone und War Primer 2. Sie sind als Professoren für Fotografie an der HFBK in Hamburg tätig und lehren an der KABK in Den Haag. 2013 erhielten sie den Deutsche Börse Photography Prize und 2014 den Infinity Award vom International Center of Photography. Ihre Arbeiten sind weltweit ausgestellt worden und befinden sich in bedeutenden öffentlichen wie privaten Sammlungen, darunter Tate Modern, Museum of Modern Art, Victoria and Albert Museum, International Center of Photography, Musée de l’Elysée und Stedelijk Museum.