Laurence Aëgerter »
Arithmetik der fotografischen Wahrnehmung
Exhibition: 20 May – 9 Jul 2017
Sat 20 May 16:00
Forum für Fotografie
Schönhauser Str. 8
50968 Köln
Wed-Fri 14-18 . Sat 12-18 . Sun 12-16
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Laurence Aëgerter
"Arithmetik der fotografischen Wahrnehmung"
1+1=3 oder noch mehr?
Ausstellung: 20. Mai bis 9. Juli 2017
Vernissage: Samstag, 20. Mai, 16 Uhr
Die Künstlerin wird anwesend sein.
Die in Marseille und Amsterdam lebende und arbeitende Künstlerin Laurence Aëgerter analysiert in ihren konzeptuell angelegten Werkserien, wie (fotografische) Bilder eine andere, ungeahnte Wirkung und Bedeutung entfalten können, wenn sie in neue Konstellationen transferiert werden und sich somit ein neuer Zugang zu ihnen eröffnet. In der Herstellung ungewohnter Bildnachbarschaften und ihrer wahrnehmungstechnischen Konsequenzen liegt die Besonderheit und der provozierende Charme ihrer künstlerischen Untersuchungsreihen.
Aëgerter bedient sich unterschiedlicher Medien, ihre wichtigsten Arbeiten sind jedoch Fotobücher und Fotografien, in denen Sie die vielfältigen Erscheinungsformen der wissenschaftlichen und kulturellen Produktion historischer wie zeitgenössische Provenienz einem stetigen Prozess der Transformation und Neuinterpretation unterzieht. Die Künstlerin selbst versteht ihr Werk als Einladung zu alternativen Lesarten und zur Auflösung festgefügter Denkkategorien. Mit Begriffen wie "Infiltration" und "Sabotage" beschreibt sie ihre bildnerischen Strategien der Befreiung von vorgefertigten oder eingefahrenen Interpretationsstrukturen.
Cathédrales
Laurence Aëgerter arbeitet in einem nach Süden ausgerichteten Atelier in Amsterdam mit fast vier Meter hohen Fenstern, und bei gutem Wetter wird ein sich fortwährend veränderndes Schattenbild der Fensterkreuze von der Sonne auf ihren großen Arbeitstisch projiziert. Aus dem Licht- und Schattenspiel entstehen gleichsam wie bei einer Sonnenuhr geometrische Strukturen als Heliogramme der Tageszeiten. Als Laurence Aëgerter ein Buch des französischen Tourismus-Ministeriums aus dem Jahr 1950 mit einem ganzseitigen Offsetprint der Frontansicht der Kathedrale von Bourges auf ihren Arbeitstisch legte, beobachtete und fotografierte sie die Projektion dieses Schattenspiels auf der Kathedrale, genauer, auf dem Foto von der Kathedrale. Zum ursprünglichen Abbild der Kathedrale addierte sie ein irritierendes Lichtspiel, das zuerst an eine während des ganzen Tages vor der Kathedrale montierte Kamera denken, dann aber zweifeln und schließlich erkennen lässt, dass es sich hier um die Fotografie einer Fotografie handelt und Licht und Schatten aus einem anderen Umgebungslicht hinzugefügt wurden.
Lévi Strauss und die Tristes Tropiques
Als der wichtige Mitbegründer des Strukturalismus 1955 das Buch "Tristes Tropiques" (traurige Tropen) veröffentlichte, geschah das tragischerweise auf dem Höhepunkt jener historischen Phase, in der die von ihm beschriebenen Kulturen der Eingeborenen des Amazonasbeckens endgültig und jämmerlich zugrunde gingen. Sein Paradigma, dass man in der Wissenschaft immer so vorgeht, dass man eine weniger verständliche komplexe Struktur in eine besser verständliche transformiert, wurde ihrer anschaulichen Inhalte beraubt und auf eine wissenschaftliche Methode reduziert, die ihre Wertigkeit dadurch erhielt, dass sie nunmehr wenigstens im Sinne einer Eigenethnologie auf die Strukturanalyse der eigenen Gesellschaft angewandt werden konnte. Aber Lévy Strauss hatte auf seinen Reisen zu den Bewohnern Amazoniens, die erst möglich waren, weil vor ihm Soldaten, Kaufleute und Missionare die Wege bereitet hatten, auch Fotografien mit dokumentarischer Absicht angefertigt. Die so entstandene Publikation hat Laurence Aëgerter Bild für Bild mit Bewohnern einer niederländischen Gemeinde nachgestellt und, wie Lévi Strauss vor ihr, dokumentarisierend fotografiert.
Photographic Treatment
In der Therapie von Alzheimer-Patienten geht es darum, verlorengegangene Erinnerungen und Assoziationsketten wieder zu beleben. Hierbei sind therapeutische Techniken hilfreich, bei denen verlorene Erinnerungsinhalte dadurch wiederbelebt werden, indem man die Patienten mit Gegenständen, Personennamen etc. aus früheren Lebensphasen konfrontiert. Dies führt situativ oft zu überraschenden Gedächtnisverbesserungen. Eine bewährte Methode besteht beispielswese darin, Musik und Lieder zu spielen, die in der Jugend des Patienten weit verbreitet waren und bei deren Hören die Patienten sich plötzlich wieder an verlorengeglaubte Ereignisse in ihrem Leben erinnern können. In ihrer breitangelegten Arbeit "Photographic Treatment" kombinierte Laurence Aëgerter einzelne Fotografien zu Bildpaaren, deren Betrachtung eine weitere Wahrnehmungsebene hervorruft und deshalb therapeutisch zum Assoziations- und zum Wortfindungstraining benutzt werden können. Die Bildpaare provozieren Hirnleistungen, welche bei der Betrachtung der jeweiligen Einzelbilder vom Gehirn nicht erreicht werden. Hierbei entstehen je nach Bildpaaren sehr unterschiedliche Assoziationen.
Louvre und Hermitage
Die Abbildung von Menschen beim Betrachten von Kunstwerken gehört zum Kanon der Fotografie. Insbesondere die "Museum Photographs" von Thomas Struth sind nahezu jedem Kunstinteressierten gegenwärtig. Aus den beiden Bildebenen Kunstwerk und Betrachter entwickelte Struth eine Bildkomposition, die er für geeignet hielt, über die Funktion der Kunst in einer säkularen Gesellschaft nachzudenken. Laurence Aëgerter ist an einer anderen Assoziation interessiert. Indem sie Kunstbetrachter im Louvre oder in der Hermitage jeweils in Rückansicht vor einem Gemälde fotografierte und sie in Lebensgröße abbildet, provoziert sie stellvertretend für den Betrachter ihrer Fotografie, dass auch er dem Betrachter im Museum über die Schulter sieht, und untersucht damit die neu entstandene Bildkomposition ebenso wie die Blickrichtung des Museumbesuchers und die Funktion dessen, der dieses Bild vom Bild betrachtet.