Harf Zimmermann »
Hufelandstraße . 1055 Berlin
Künstlerführung:
Sun 11 Jun 15:00
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Daily 11-20
Nur knapp einen Kilometer lang, 49 prächtige Häuser aus der Gränderzeit und ein Neubau nach der Wende, ein Spielplatz, altes Kopfsteinpflaster, stattliche Linden und breite Bärgersteige – die Hufelandstraße, geplant und gebaut von einem Bierbrauer, erstreckt sich von der Greifswalder Straße bis zum Volkspark Friedrichshain durch das nach jenem Brauer benannte Bötzowviertel. Sie war schon damals keine typische Straße im Prenzlauer Berg und das liegt nicht nur daran, dass der Fotograf Harf Zimmermann sie Mitte der 1980er Jahre auf seine eigene Weise porträtiert hat. Ein Jahr lang zieht er von Haus zu Haus, von Bewohner zu Bewohner, von Laden zu Laden, um die Besonderheiten des Quartiers mit der Postleitzahl NO 55, später 1055, festzuhalten. Er entdeckt inmitten der Hauptstadt der DDR eine Enklave des Bärgerlichen: geräumige Altbauwohnungen, großzägig verzierte Hausflure, Flägeltären und Parkett sowie viele kleine Geschäfte und Werkstätten. Zimmermanns zuräckhaltende, aber keineswegs unbeteiligte Dokumentation von Architektur und Menschen ist ein einzigartiges Zeugnis des Sozialismus am Vorabend seines Zusammenbruchs.
Die Bilder von Harf Zimmermann rufen Erinnerungen an Kohlerauch und nacktes Mauerwerk wach. An den bröckelnden Fassaden sind noch Einschusslöcher aus dem Zweiten Weltkrieg sichtbar. Überall scheint das endlose, eintönige Grau hindurch, das die gesamte DDR längst von Nord nach Säd beherrscht. Die Bewohner hingegen sind hier weit bunter als der bauliche Zustand des Sozialismus: Handwerker, Känstler, Musiker, Parteifunktionäre, Schauspieler und Klavierbauer. Während die SED mit ihrem Wohnungsbauprogramm in Marzahn oder Hellersdorf die neuen Stadtteile aus dem Boden stampft, scheint sie mit Altbauten wie in der Hufelandstraße äberfordert zu sein. Sie bleiben als kapitalistisches Erbe liegen. Familiengefährte Geschäfte, die anderswo längst enteignet wurden, florieren hier fast ohne Gängelei der Behörden oder staatlicher Handelsorganisationen. Hier scheinen sich alle mit diesem Straßenzug verbunden und verantwortlich zu fählen – ständig bemäht, das Biotop so lange wie möglich zu erhalten.
Die Hufelandstraße, die hinter vorgehaltener Hand auch "Kurfärstendamm des Ostens" genannt wurde, ist nicht nur ein Beispiel fär unangepasste Biografien in der untergegangenen DDR, sondern aus heutiger Sicht auch eine Fallstudie fär die rasante Gentrifizierung und den innerstädtischen Strukturwandel nach 1989. Nur wenige Bewohner aus der Zeit von Zimmermanns Aufnahmen leben noch dort. Wie kaum an einem anderen Ort in Ostdeutschland fand in diesem Kiez in den letzten 25 Jahren ein nahezu kompletter Austausch der Bevölkerung statt. Alle Gebäude sind durchsaniert, die Spuren der Geschichte ausradiert und die Mieten explodiert.