Mary Frey »
Real Life Dramas
Exhibition: 8 Sep – 21 Dec 2018
Sat 8 Sep 16:00
Forum für Fotografie
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50968 Köln
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Wed-Fri 14-18 . Sat 12-18
Mary Frey
"Real Life Dramas"
Ausstellung: 8. September bis 27. Oktober 2018
Eröffnung: Samstag, 8. September, 16 Uhr
Die Künstlerin wird anwesend sein.
Ein bedeutendes Oeuvre der US-amerikanischen Geschichte der Fotografie erfährt seine Wiederentdeckung. Das Forum für Fotografie zeigt erstmals in Europa Arbeiten der Fotografin Mary Frey. Sie entführen uns in eine Kleinstadt im Westen von Massachusetts, in das Amerika der 70er und 80er Jahre. Schon auf den ersten Blick lassen uns die Bilder den künstlerischen Diskurs mit den großen Wegbereitern der amerikanischen Fotografie erkennen, was sich eindeutig belegen lässt.
1991 kuratierte Peter Galassi im MOMA New York eine Ausstellung mit dem Titel "Pleasures and terrors of domestic comfort". Der Katalog der MOMA-Ausstellung liest sich heute wie ein Kompendium der "New American Photography". Alle teilnehmenden Fotografen sind von hohem künstlerischen Rang und Namen. Philip Lorca Di Corcia, William Eggleston, Gregory Crewdson, Cindy Sherman, Nan Goldin, Tina Barney, Joel Sternfeld, Nicholas Nixon, Lee Friedlander, Stephen Shore, Larry Sultan, Robert Adams, Larry Fink, Sally Man und … Mary Frey.
Als Hochschullehrerin hat Mary Frey mehrere Generationen von Studenten zwischen 1979 und 2015 an der Hartford Art School geprägt. Zwar nahm sie nach dieser Ausstellung im MOMA immer wieder in den USA an Einzel- und Gruppenausstellungen teil, aber sie verzichtete nach der Geburt ihres Kindes zugunsten ihrer Familie und ihrer Lehrtätigkeit auf die öffentliche Repräsentation auf dem Kunstmarkt.
Erst nach Beendigung ihrer Lehrtätigkeit vor 3 Jahren entstand ein neues Interesse, ihr Werk nochmals zur Diskussion zu stellen. Sie begegnete auf einem workshop der Hartford Artschool Connecticut in Berlin dem Verleger Hannes Wanderer, Peperoni Books. Peperoni Books brachte 2017 "Reading Raymond Carver" mit Mary Freys Schwarzweiß Fotografien aus den Jahren 1979 bis 1983 heraus, die zunächst unter dem Arbeitstitel "Domestic Rituals" entstanden waren. Das Buch wurde ein Erfolg; bald nach Publikation folgte die Nennung in der short list "Titles for First Photobook, 2017" der Paris Photo und eine 2. Auflage. Im September dieses Jahres, rechtzeitig zur Eröffnung der Ausstellung "Real Life Dramas" wird bei Peperoni Books ihr zweites Buch mit dem gleichnamigen Titel erscheinen.
Freys künstlerische Intention besteht in der Hinterfragung des Entstehungsprozesses fotografischer Bilddokumentationen. Was von ihr scheinbar spontan abgebildet wird, ist in Wahrheit jeweils Produkt einer sorgfältigen konzeptionellen Inszenierung. Mary Frey formuliert mit eigenen Worten, dass ihre Absicht darin besteht, "das Wesen der fotografischen Wahrheit in Frage zu stellen und die Ikonographie der bürgerlichen Sitten zu nutzen, um gesellschaftliche Werte und Systeme zu kommentieren".
In beiden erstmals in Europa gezeigten Werkgruppen setzt sich die Künstlerin in konzeptioneller Vorgehensweise mit dem Sujet des Familienportraits auseinander und präsentiert Mitglieder der eigenen Familie, aber auch Freunde und Bekannte aus der Nachbarschaft und näheren Umgebung bei alltäglichen Verrichtungen und Zusammenkünften.
Die Faszination, die von diesen harmlosen Alltagsszenen ausgeht, liegt vor allem in der Detailtreue der Darstellung sowie in der Lebendigkeit und intimen Atmosphäre der Handlungsabläufe. Der prosaischen Nüchternheit der Szenen verdankt der Betrachter das Gefühl der direkten Teilnahme am Geschehen. Die aus den Bildern sprechende Beiläufigkeit und familiäre Vertrautheit verringert die Distanz zum Betrachter und lässt die Szenarien ohne Hinterfragung plausibel erscheinen.
Erst der zweite aufmerksame Blick auf die Bilder von Mary Frey bestätigt uns, dass der Perfektionismus von Komposition und Lichtregie sowie die Virtuosität chromatischer Harmonien kaum Resultate eines in spontaner Aktion realisierten Snapshot-Realismus sein können, sondern dass ihre künstlerische Kreativität sich meisterlich in einer auch im kleinsten Detail konzipierten Bildregie ausdrückt. Spontanität wird artifiziell produziert und ist das Ergebnis eines sorgfältig vorbereiteten Szenenkataloges, der unter Einsatz von Großbildkamera, Stativ und diffusem Licht von Single Use Flashbulbs die von Frey als signifikant erachteten Handlungsabläufe, Gesten und Charaktere als "Prototypen" inszeniert.
Gemäß ihrer Prämisse "a photograph shows us what we know, yet contains its own fiction", unterzieht Frey das fotografische Bildprodukt einer grundsätzlichen Hinterfragung der Voraussetzungen von fotoimmanenter Bedeutung und Wahrheit.
Besondere Aufmerksamkeit widmet Frey der Prägung unseres individuellen Selbstverständnisses und gesellschaftlichen Wertesystems durch Erinnerungskulturen und zeitgenössischem Kontext. In diesem Sinn zitiert sie in ihrem Werk immer wieder popkulturelle Einflüsse. So zeigt sich Mary Frey von der Allgegenwart der im Fernsehen übertragenen sitcoms und soap operas, der Groschenromane und Zeitschriften wie Look, Life und Good Housekeeping offen beeinflusst. Die dort vorgefundenen Situationen lässt sie als gleichsam stilbildendes Moment in ihre Inszenierungen einfließen.
Dies gilt vor allem für ihre Schwarzweiß-Aufnahmen, die die Atmosphäre und Dynamik der amerikanischen Mittelklasse-Familie der siebziger und achtziger Jahre auf den Punkt bringen. In den später entstandenen Farbfotografien zu "Real Life Dramas" wird Mary Frey einen Schritt weiter gehen und mittels knapper Textauszüge aus dem popkulturellen Kontext, die die Banalität der Alltagsszenen mit künstlicher Dramatik aufladen, ihre Arbeiten konterkarieren.
Die ursprüngliche Bedeutungseinheit eines dokumentarischen Bildes, die sich alsbald als Inszenierung entpuppt, wird somit in einem weiteren Schritt ironischer Brechung und paradoxem Verwirrspiel endgültig ad absurdum geführt. Ein unüberbrückbarer Abgrund zwischen fotografischem Abbild und innerer psychischer Realität der Porträtierten wird von Frey offengelegt und problematisiert. Dem Paradox zwischen Bild und Identität möchte sich Frey jedoch nicht beugen.
Wie eine Ikonologin, die ein Kunstwerk mit historischer Analyse und als Zeugnis gesamtkultureller Phänomene betrachtet und analysiert, reflektiert Frey mittels des künstlerischen Prozesses das jeweilige, von ihr genutzte Bildinventar. Das faktisch Abbildbare und bewusst Banale ist für die Fotografin lediglich der Ausgangspunkt für die Reflexion über die Vielschichtigkeit psychischer Zustände und deren Vermittelbarkeit.
Weitere Informationen: www.maryfrey.com