Moonstruck. Photographic Explorations
Mondsüchtig. Fotografische Erkundungen
Edy Brunner » Joan Fontcuberta » Max Grüter » Daniela Keiser » James Nasmyth » Luciano Rigolini » Robert Pufleb & Nadine Schlieper » Lewis M. Rutherfurd » Bianca Salvo » Pierrick Sorin » Christian Waldvogel »
Exhibition: 8 Jun – 6 Oct 2019
Fri 7 Jun 18:00
Fotostiftung Schweiz
Grüzenstr. 45
8400 Winterthur
+41 52 -234 10 30
info@fotostiftung.ch
www.fotostiftung.ch
Tue-Sun 11-18, Wed 11-20
"Moonstruck"
Photographic Explorations
Exhibition: 8 June – 6 October 2019
Opening, Friday, 7 June, 6pm
The first manned Moon landing on 20 July 1969 (CET) was the greatest technological adventure of all time. Fifty years after man first set foot on the surface of the Moon, the Fotostiftung Schweiz (Swiss Foundation for Photography) takes a look back at photographic representation of this celestial body, which has captured the human ima-gination since time immemorial. Rather than being a scientific or documentary study of the Moon, the exhibition focuses on the translation of an elusive experience into images. The 'demystification' of the Moon is a shock but it has also released artistic energy. Romantic glorification has given way to a debate about humanity’s place in the universe. This is expressed in conceptual and epistemological approaches which nonetheless preserve the sensual fascination that emanates from the Moon.
To date, only twelve human beings have ever set foot on this satellite of the Earth. Our concept of the Moon – and of Earth as a 'blue marble' – has therefore been shaped almost entirely by visual media; without having gone through the process of creating images, we would have had only a very rudimentary idea of its nature. Photographs, television cameras and other imaging techniques determine the way we picture the Moon, the cosmos and space travel, and how we see our place in the universe. The Moon is therefore an example for what Jean Baudrillard de-scribed in his theory of simulation: symbols and reality are increasingly becoming indistinguishable from one another.
The transformation of the Moon into a media happening reached its zenith with the first manned Moon landing. Being a part of the event via live TV broadcast was almost as miraculous for television viewers as the Moon landing itself. More than half a billion people gathered in front of their television screens – the biggest simultaneous event in history at the time. The three major US television channels showed the Apollo 11 mission for a total of 31 hours and distributed the footage across the globe (with the exception of the People’s Republic of China, where the Moon landing officially never took place). The press followed suit – in 1969 alone, Life magazine dedicated seven front pages to the Moon missions. "Never before in the history of mankind has an event been followed and experienced with such passionate interest; never before has a human enterprise triggered such an exuberant out-pouring of enthusiasm", wrote the Swiss magazine Schweizer Illustrierte on 4 August 1969.
This collective euphoria was not least due to the American communications strategy – com-pared to military operations in the past, the Apollo mission was an open book. NASA’s PR specialists argued that, in a sense, the media were the very point of the mission. Watched live, unedited and everywhere, it became a genuine experience of global intimacy.
This exhibition presents eleven perspectives showing how artists have used the medium of photography to react to the Moon, its 'conquest', and the enormous number of images produced in the course of one of the most momentous events of the 20th century. In addition to selected historical works, the exhibition features primarily contemporary pieces and installations.
"Mondsüchtig"
Fotografische Erkundungen
mit Arbeiten von Edy Brunner, Joan Fontcuberta, Max Grüter, Daniela Keiser, James Nasmyth, Robert Pufleb & Nadine Schlieper, Luciano Rigolini, Lewis M. Rutherfurd, Bianca Salvo, Pierrick Sorin, Christian Waldvogel
Ausstellung: 8. Juni bis 6. Oktober 2019
Vernissage: Freitag, 7. Juni, 18 Uhr
Einführung: Sascha Renner (Kurator), 19.30 Uhr
Die erste bemannte Mondlandung am 20. Juli 1969 (MEZ) war das grösste technische Abenteuer aller Zeiten. Fünfzig Jahre nachdem der erste Mensch seinen Fuss auf die Mondoberfläche setzte, fragt die Fotostiftung Schweiz nach der fotografischen Darstellung dieses Gestirns, das die Fantasien der Menschen schon seit jeher beflügelt. Dabei geht es nicht so sehr um eine wissenschaftliche oder dokumentarische Auseinandersetzung mit dem Mond, sondern darum, wie Kunstschaffende im Medium Fotografie die «Eroberung» des Mondes kommentierten, hinterfragten oder feierten.
Nur zwölf Menschen haben den Erdtrabanten je betreten. Unsere Vorstellung vom Mond – und von der Erde als «blauer Murmel» – ist damit eine fast vollständig mediatisierte. Foto- und Fernsehkameras und andere bildgebende Verfahren – vor allem unter amerikanischer Führung – bestimmen unsere Vorstellung vom Mond, von der Raumfahrt sowie unser eigenes Selbstverständnis im Universum. Die Mediatisierung des Mondes erreichte ihren Höhepunkt mit der ersten bemannten Mondlandung. Die Teilhabe per Live-Übertragung war für die Fernsehzuschauer fast ebenso unfassbar wie die Mondlandung selbst. Die Presse hielt mit: Allein 1969 widmete die Zeitschrift Life den Missionen zum Mond acht Titelseiten. Die PR-Spezialisten der NASA argumentierten, dass die Medien in gewisser Weise der Sinn der Mission seien.
Wie das Medienspektakel Mond auch künstlerische Energien freigesetzt hat, zeigt diese Ausstellung anhand von konzeptuellen und erkenntniskritischen Ansätzen, die aber immer auch die sinnliche Faszination bewahren, die von diesem Himmelskörper ausgeht. Neben ausgewählten historischen Werken werden in erster Linie zeitgenössische Arbeiten und Installationen vorgestellt. Sie spiegeln die Obsession, eine schwer fassbare Erfahrung bildhaft zu übersetzen.
Einen unmittelbaren Widerhall findet unser Ausstellungstitel in der Werkgruppe von Max Grüter (Schweiz *1955). In den Flor eines dunkelgrauen, weitläufigen Teppichs sind zahlreiche Fussspuren von Astronauten eingelassen. Die fotografischen Bezüge sind offensichtlich: Buzz Aldrins Stiefelabdruck im Mondstaub ist eine der grossen Bildikonen des 20. Jahrhunderts.
Dem schottischer Ingenieur, Erfinder und Astronomen James Nasmyth (UK 1809–1890) gelang es 1874, Krater und Meere auf dem Mond in nie gekannter Detailliertheit sichtbar zu machen. Nur: So "wahr" sie auch scheinen, die Darstellungen sind keine Fotografien des Mondes. Nasmyth formte die Oberflächenstrukturen aufgrund seiner Beobachtungen durch das Teleskop als Gipsmodelle nach, die er anschliessend fotografierte.
Aus nächster Nähe blickt Luciano Rigolini (Schweiz *1950) hundert Jahre später auf den Mondboden. Es ist nicht viel, das seine Sequenzen quadratischer Fotografien, aufgenommen von Apollo-Astronauten, von der Mondoberfläche preisgeben – Staub und Steine. Rigolini bricht mit jeglicher ikonischen, sentimentalen oder heroischen Darstellung dieses Gestirns. Durch seinen minimalistischen Zugang erlangen diese Bilder dennoch eine überraschende poetische Dimension.
Auch Joan Fontcuberta (Spanien *1955) befragt das Ideal des fotografischen Realismus, wenn auch aus entgegengesetzter Richtung: Seine Erzählung beschreibt das Schicksal eines russischen Kosmonauten, der1968 im Weltraum verschwand. Trotz Faktenreichtum sind die "dokumentierten" Ereignisse jedoch frei erfunden. Es handelt sich um einen mutwilligen Akt medialer Intoxikation, der humorvoll die Suggestivkraft fotografischer Information ins Bewusstsein hebt.
Das Weltall als riesige Projektionsfläche für Technikfantasien, Fortschrittsgläubigkeit und Kulturkritik findet seinen Widerhall in der Bildassemblage "The Universe Makers" (2016–2018) von Bianca Salvo (Italien *1986). Sie erforscht darin die Rolle, die Fotografie, Technologie und Science-Fiction bei der Schaffung unserer Vorstellung des Universums spielen. Dabei lenkt die Künstlerin den Blick auf das Fakt, dass historische Abbildungen kosmischer Welten überwiegend von der NASA erzeugt wurden. Wenn wir den Mond betrachten, sehen wir einen amerikanischen Mond.
Wenn ein Kunstwerk für sich beanspruchen kann, der Grossartigkeit der Mondlandung gerecht zu werden, so ist es "Apollo 11" (1969) – selbst ein kolossaler Akt – von Edy Brunner (Schweiz *1943). Es besteht aus 23'688 einzelnen Fotografien in bildschirmähnlichen Plastikrähmchen. Brunner installierte dafür eine Kamera vor einem Farbfernsehgerät und machte während der ganzen Live-Übertragung jede Sekunde ein Bild. Den konzeptuellen Charakter erkannte auch die Eidgenössische Kunstkommission: Als erstes fotografisches Werk wurde es 1970 mit einem Kunststipendium gewürdigt.
Daniela Keiser (Schweiz *1963) folgt der spürbarsten Einwirkung des Mondes auf unseren Planeten: die Gezeiten. Während eines halben Jahres suchte sie immer wieder das Themse-Ufer in London auf, wo der Tidenhub bis zu sieben Metern beträgt. Was sich ihr dort darbot, ist von unerwartetem Zauber: leuchtend grüne und braune Moose bunte Kiesel und abgeschliffene Klinker. Sichtbar sind einzig die Fundamente der Stadt – eine Einladung, sich seine eigenen Luftschlösser zu imaginieren.
Nur zwölf Menschen war es je vergönnt, den Mond körperlich, mit allen Sinnen, zu erfahren. Mit einem Experiment versucht Christian Waldvogel (Schweiz *1971) zu ergründen, wie die individuelle Realität der Astronauten adäquat kommuniziert werden kann. Er bat Astronaut Charlie Duke, die folgenden Fragen zu beantworten. Wie sieht die Erde vom Mond aus gesehen aus? Wie gross erscheint die Erde von dort aus? Und wieviele Sterne sieht man am Mondhimmel? Aus den Bildfolgen, die ihm der Künstler bereitstellte, wählte der Astronaut jeweils jenes Bild, das am ehesten mit seiner Wahrnehmung übereinstimmte.
Seit Galileo Galilei 1609 erstmals durch ein Fernrohr auf den Mond blickte, ist es der Traum aller Selenografen, dieses Gestirn in all seinen Details mechanisch festzuhalten. In überragender Qualität gelang dies Lewis M. Rutherfurd (USA 1816–1892). Der Pionier der Astrofotografie war ein begnadeter Erfinder und Konstrukteur von Teleskopen. Am 6. März 1865 gelang ihm von seinem Garten im East Village Manhattans aus die Aufnahme, die er als seine beste erachtete. Die mächtige Gestalt des Mondes, die sich geheimnisvoll aus dem Dunkeln des Alls schält: Auch heute hat diese Aufnahme nichts von ihrer Faszination verloren.
So herrlich plastisch und detailreich wie Rutherfurds Mond präsentieren sich auch die Himmelskörper von Robert Pufleb (Deutschland *1969) und Nadine Schlieper (Deutschland *1976). Hier ist die Quintessenz indessen eine andere: Was man sieht, ist nicht, was man vor sich hat. Die Idee kam den Künstlern beim Frühstück: Die Pancakes in der Pfanne sahen aus wie Monde. Fortan verfeinerten sie ihre Backkünste. "Wir betrachten die 'Alternative Moons' als Metapher für die Lesart von Bildern in Zeiten von alternativen Fakten und Fake News", sagen Schlieper und Pufleb.
Zum Mittel der Täuschung greift auch Pierrick Sorin (Frankreich *1960). Er führt uns in die Werkstatt eines trickreichen Fälschers: Mittels Bluescreen-Technologie versetzt er einen Astronauten vom Aufnahmestudio auf den Mond. Holografisch projiziert, vermitteln die Figuren einen verblüffend dreidimensionalen Eindruck. Sorins Arbeit nimmt unverkennbar Bezug auf Verschwörungstheorien. Sein Anliegen ist es jedoch vielmehr, auf den poetischen Charakter "falscher" Bilder hinzuweisen.