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Eins
"Rockstar K.", 2018, 60 x 80 cm, Fine Art Museo Max Print, Auflage 3 (+2)
© Katja Flint, courtesy: Semjon Contemporary

Katja Flint »

Eins

Exhibition: 30 Mar – 4 May 2019

Fri 29 Mar 19:00 - 21:30

Semjon Contemporary

Schröderstr. 1
10115 Berlin

+49 (0)30-784 12 91


www.semjoncontemporary.com

Tue-Sat 13-19

Eins
"Angry Young Man", 2017, 60 x 90 cm, Fine Art Museo Max Print, Auflage 3 (+2)
© Katja Flint, courtesy: Semjon Contemporary

Katja Flint
"Eins"


Ausstellung: 30. März bis 4. Mai 2019
Eröffnung: Freitag, 29. März, 19 – 21.30 Uhr
Book Launch (DISTANZ Verlag): ab 18 Uhr

Der Moment des (S)eins – Innere und äußere Wirklichkeit

Die Zeiten der großen Ungewissheit, in der plötzlich ganze Denk- und Verhaltensstrukturen sowie gesellschaftliche, politische und ökonomische Übereinkünfte – jahrzehntelang in langem Ringen miteinander geschmiedet – wegbrechen und zertreten werden, ist gleichzeitig die Zeit der Introspektion und der Beginn einer neuen kreativen Wende. Alle Katastrophen bergen in sich – so fatal das klingt und es auch ist – die Geburt des Neuen.

Das Tabu als Regelwerk für ein zivilisiertes Miteinander, das nach vielen schmerzvollen Katastrophen eine große weltgesellschaftliche Leistung wurde, ist brüchig geworden. Europa droht auseinanderzubrechen, die alte Weltordnung ist ins Wanken geraten, ein paar alte Herren pokern um die Vormachtstellung und bedienen sich ungeniert der (manipulierten) Menschen. Die Natur, unsere Mitschöpfung, steht weltweit vor dem totalen Kollaps. Die Angst geht um.

Wenn Katja Flint in ihren fotografischen Porträts die ganze Klaviatur von emotionalen Befindlichkeiten aus dem Modell, mit dem Modell gemeinsam herausarbeitet, ist es ihr Anliegen, die Disparität unserer Emotionen in uns selbst und in dieser und mit dieser Welt zu spiegeln. Die Künstlerin, die in ihrem anderen Berufsfeld eine Meisterin der Darstellung von großen, aber auch kleinen, zarten, kaum merklichen Gefühlsregungen jeglicher Couleur ist, kann sich aufgrund dieser Erfahrung – aber auch Dank ihres Talents der empathischen Intelligenz – mit dem Modell deshalb solidarisieren und es behutsam nun als Bildregisseurin in die gewünschte Richtung lenken.

Katja Flint ist allerdings nicht an der präzisen Abbildung eines Gemütszustandes oder gar des Modells interessiert. Was sie reizt, ist das Wesen der jeweiligen Emotion darzustellen. Das Wesenhafte der Emotion zu erreichen, funktioniert verstärkt durch die Entpersonalisierung des Modells. Die Unschärfe ist hierbei ein wichtiges Gestaltungsmoment. Es 'schützt' die fotografierte Person vor einem entblößenden Verismus. Geschuldet ist die Unschärfe der in Langzeitbelichtung festgehaltenen Bewegung. Zumeist ist es die Bewegung des Kopfes im Bild – der Oberkörper 'trägt' mehrheitlich statuarisch fixiert und deshalb scharf dargestellt die (e-motionale) Aktion. Der pechschwarze abstrakte Umraum, man könnte ihn auch als Bühnenraum bezeichnen, verstärkt bzw. dramatisiert das Geschehen und distanziert das Modell zugleich vom Subjekt zum Objekt und kondensiert so das Wesentliche. Der Schmerzen- oder Wutschrei bei "Mike", mit weit aufgerissenem Mund, zeigt dies deutlich. Aber es gibt auch andere Emotionen: "Rockstar K." verwandelt das Modell (hier ist Katja Flint zugleich Modell und Bildregisseurin) zu einem androgynen Wesen, das neugierig, selbstzufrieden, keck und dabei leicht diabolisch verklärt in sich hinein und doch den Betrachter anschaut, ohne dass man in das Gegenüber eindringen kann.

Eins
"Mother", 2018, 40 x 54 cm, Fine Art Museo Max Print, Auflage 3 (+2)
© Katja Flint, courtesy: Semjon Contemporary

Fast alle Fotografien sind Querformate. Das ist ungewöhnlich für Porträtfotografien. Im Englischen wird als Begriff für eine Hochformat auch "portrait size" verwendet (für das Querformat "landscape size"). Das Abbild eines Menschen, zumeist als Fokussierung auf den Kopf, sein Gesicht als der Träger des Essentiellen einer Persönlichkeit, ist aufgrund seiner Funktion – der Kopf hat anatomisch gesehen eine vertikale Ausrichtung und keine horizontale – festgelegt auf das Hochformat. Katja Flint hingegen nutzt eigensinnig das Querformat. Warum? Es liegt vor allem im Technischen begründet, aber auch in ihrer künstlerischen Absicht: Die Darstellung der Emotion versucht sie über die Bewegung in einem einzigen Bild (nicht als Film, also einer Bilderfolge!) herauszuarbeiten. Das kann aber nur in einem vorgegebenen (Bild-)Raum funktionieren, der sich entweder nach oben oder nach unten (Hochformat) oder zur Seite entwickelt (Querformat). Der prozessuale Charakter einer Emotionsentwicklung ist über die Zeit definiert. Die Zeit aber wird bildlich von alters her horizontal gedacht, als Abfolge von Einzelbildern. Katja Flint ist also Regisseurin, Dokumentaristin und Gestalterin in einem. Das Prozessuale im Entstehen eines einzigen Bildes verdeutlicht aber auch den Transformationsaspekt vom Subjekt zum Objekt.

Die in den Räumen von Semjon Contemporary ausgerichtete Einzelausstellung "Eins" ist eine reduzierte Übernahme der zuvor in der Kunsthalle Rostock gezeigten titelgleichen Ausstellung. Der Werkkörper wird hier auf andere Weise vorgestellt werden, als es in Rostock der Fall war, gegeben durch die Raumsituation in der Galerie und ihre Größe. "Eins" wird sich durch seinen Charakter der Hängung als inszenatorisch-kommunikative Kabinettausstellung darstellen. Und deshalb wird unser Blick u.a. auch darauf gelenkt, was man als besonders dialogisch beschreiben könnte: "Mother" und "Daughter" ist so ein Beispiel.

Die Kraft der Fotografien der Werkgruppe "Eins" von Katja Flint liegt darin, dass sie sich gegen bisherige klassische Muster der Porträtfotografie stemmt und eine eigene Bildsprache formuliert, die den Betrachter selbst zu assoziativen Betrachtungen einlädt, ohne eine definierte Erzählung vorzugeben. Gleichzeitig weist sie über das Individuelle einer Porträtfotografie hinaus und schafft eine distanzierte Augenblicklichkeit, die den bildbestimmenden Protagonisten entindividualisiert, das Subjekt zum Objekt werden lässt, um das Eigentliche eines oder mehrerer emotionaler Zustände zu porträtieren. Der Betrachter kann sich selbst in dem Bild erkennen oder gar verlieren.

Eins
"Mike", 2017, 60 x 60 cm, Silbergelatineabzug auf Aluminium, Auflage 3 (+2)
© Katja Flint, courtesy: Semjon Contemporary