Jules Spinatsch »
Semiautomatic Photography 2003-2020
Book Launch & Signing:
Sat 8 Jun 18:00
CPG Centre de la Photographie Genève
28, rue des Bains
1205 Genève
+41(0)22-3292835
cpg@centrephotogeneve.ch
www.centrephotogeneve.ch
Tue-Sun 11-18
Jules Spinatsch zählt zu den wichtigsten Schweizer Fotokünstlern mit internationaler Bedeutung. Er hat in Institutionen wie dem MoMA New York, der Fondation Cartier in Paris, der Villa Arson in Nizza, dem Walker Art Center in Minneapolis ausgestellt, daneben in der Tate Modern in London, im Haus der Kunst in München, dem SFMoMA in San Francisco, im Kunsthaus Zürich und im Fotomuseum Winterthur. Vom Centre de la photographie Genève (CPG) wurde er schon 2003 und 2015 mit Einzelpräsentationen vorgestellt und seine Werke waren Bestandteil von weiteren vier Gruppenausstellungen. Die erste umfassende Bestandsaufnahme seiner halbautomatischen Arbeiten erfolgt nun ebenfalls in Genf.
Die Ausstellung präsentiert die umfangreiche Werkgruppe der Surveillance Panoramas, die der Künstler zwischen 2003 und 2018 geschaffen hat. Zunächst kam eine Webcam-Technik zum Einsatz, die er in Zusammenarbeit mit dem Ingenieur Reto Diethelm entwickelte. Nach 2012 begann er, eine computergesteuerte Spiegelreflexkamera entsprechend selbst zu programmieren. Das Prinzip ist einfach: In regelmäßigen Abständen hält die Kamera einem vorgegebenen Raster folgend nacheinander Einzelbilder fest – dabei werden über eine Zeitraum von einer bis zu 24 Stunden teils mehrere tausend Belichtungen registriert. Die Aufnahmen werden am Ende in chronologischer Reihenfolge zu einem großen Panoramabild zusammengerechnet, welches den Bildraum kontinuierlich wiedergibt, die Ereignisse aber, die innerhalb der Zeitdauer stattfanden, nur fragmentarisch und zufällig abbildet. Denn ist der Prozess einmal gestartet, läuft das Aufnahmeprogramm von alleine ab.
Die halbautomatische Fotografie von Jules Spinatsch ist eine fortlaufende Abfolge von manueller und automatisierter Bildherstellung. Seit seiner ersten Einzelausstellung im CPG 2003 mit dem Titel Temporary Discomfort gelang es ihm, künstlerisch auf eine fotografische Praxis zu reagieren, die sich später weit verbreitete, nämlich die automatisierte Überwachungsfotografie. Das erste Panorama, das 2003 während des World Economic Forum WEF in Davos, dem Geburtsort des Fotografen, generiert wurde, markiert einen Wendepunkt in der Geschichte der kritischen Dokumentarfotografie. Allan Sekula produzierte vier Jahre zuvor Waiting for Teargas, ein Karussell mit 81 Dias der ersten Alter-Globalisierungsdemonstration. Als Privatbürger (ohne Presseausweis oder Akkreditierung, ohne Teleobjektiv und Gasmakse) fotografierte er aus der Mitte des Demonstrationszuges in Seattle.
Während des WEF installierte Jules Spinatsch drei computergesteuerte Kameras in der Nähe des Kongresszentrums; eine an der Fassade einer Bibliothek und zwei in Wohngebäuden. Zwei überwachten die Zugänge zum Kongresszentrum, eine dritte den Demonstrationszug, der jedoch vom schwarzen Block aufgehalten wurde und so ist die Straße, über der ein Luftballon mit Werbung für die Financial Times schwebt, leer. Jules Spinatsch befand sich im Gegensatz zu Sekula nicht zwischen den Demonstranten, sondern fern von allen Blicken. Das Panorama B251356, zum ersten Mal im CPG als wandfüllende Tapete gezeigt, kündigt die Zukunft des WEFs an: inzwischen gibt es in Davos keine Demonstrationen von Globalisierungsgegnern mehr. Eine weitere Kamera übertrug während dem fünf Tage dauernden Gipfel 2176 Bilder von Davos nach Zürich direkt in den Kunstraum Walcheturm, wo daraus ein 20 Meter langes Panoramabild entstand.
Jules Spinatschs Strategie wohnt etwas Absurdes inne. Denn Zufall und Kontrolle sind zwei sich ausschließende Qualitäten. Die Arbeit Heisenbergs Offside führt diese Diskrepanz bestens vor: während dem WM-Qualifikationsspiel zwischen Frankreich und der Schweiz im Jahr 2005 ist zwar das gesamte Wankdorf-Stadion in Bern zu sehen und das bis in den hintersten Logenplatz, aber kein einziges Mal ist der Ball im Bild.
Zwei Drittel der halbautomatischen Projekte stellen Orte der Macht dar, sei es juristische Macht mit Panopticon JVA (einem Mannheimer Gefängnis), finanzielle Macht mit Competing Agendas (die Frankfurter Börse) oder politische mit Fabre n'est pas venu (der Sitzungssaal des Stadtrats von Toulouse). Der andere Drittel zeigt Freizeitorte wie mit Heisenbergs Offside oder Vienna MMIX 10008/7000 (Wiener Opernball) oder auch mit Tanzboden 1 (einer Rave-Party in Mannheim). Diese Gleichwertigkeit von Macht- und Unterhaltungs-Orten entspricht der Logik unserer Warengesellschaften. Die Ausbeutungskriterien sind die selben, sei es in der Arbeits- oder in der Freizeitwelt.