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Als ob die Welt zu vermessen wäre
Guido Baselgia, Tierra templada № 5, 2019
© Guido Baselgia

Guido Baselgia »

Als ob die Welt zu vermessen wäre

Gespräch mit Teresa Gruber

Künstlerführung:

Sun 20 Oct 11:30

Fotostiftung Schweiz

Grüzenstr. 45
8400 Winterthur

+41 52 -234 10 30


www.fotostiftung.ch

Tue-Sun 11-18, Wed 11-20

Bekannt für seine Aufnahmen von Landschaften aus Stein und Eis – höchst konzentrierte schwarz-weisse Kompositionen am Rande der Abstraktion – überrascht Guido Baselgia mit seinem neusten Werkzyklus. Der Spezialist für Kargheit und Leere findet einen Weg in die Überfülle: Er fotografiert den tropischen Regenwald im Amazonasbecken, befasst sich mit der Darstellbarkeit eines Lebensraums, der allgegenwärtig ist im kollektiven Bildgedächtnis und heute aufgrund seiner akuten Bedrohung zudem im Schlaglicht geopolitischer Auseinandersetzungen steht. Die Ausstellung in der Fotostiftung Schweiz zeigt erstmals Guido Baselgias Fotografien aus dem Osten Ecuadors.

Die neue Arbeit schlägt ein weiteres Kapitel in der Reihe von Baselgias Werkzyklen auf. In ihrer Abfolge lesen sich die Projekte der vergangenen zwanzig Jahre fast wie eine Schöpfungsgeschichte: Auf Bilder lebloser Einöde folgen die Gestirne, dann die Vegetation und der Mensch. Der Fotograf geht elementaren Fragen nach und kreuzt dabei auf seinen Reisen die Fährten berühmter Entdecker, doch seine Bilder zeugen von einem sehr differenzierten Blick. Die Welt ist nicht mehr zu vermessen, es gibt keine weissen Flecken mehr auf der Landkarte, einem utilitaristisch und kolonial geprägten Gestus der Weltvermessung stehen wir heute skeptisch gegenüber. Das Betrachten von Fotografien aus entlegenen Weltgegenden bringt uns vor allem dazu, über die Bedingungen unserer Rezeption nachzudenken.

Baselgia nähert sich dem Urwald, indem er ihn als eine Vielzahl kleiner Welten wahrnimmt. So suggerieren die Fotografien aus dem mit Flechten, Farnen und Orchideen überwucherten Nebelwald einen Blick von aussen: Vor dem weissen Vorhang aus kondensierter Luftfeuchtigkeit zeichnen sich die Gewächse wie fragile Scherenschnitte ab. Doch auch im tropischen Dickicht gelingt es Baselgia, fotografisch Formen zu isolieren: Geschwungene Lianen, gezwirbelte Äste und monumentale Stämme. Diese Reihe von skulptural anmutenden, an Karl Blossfeldts Arbeit erinnernde Pflanzendetails wird ergänzt durch Ansichten, die dem betrachtenden Auge jeden Halt verweigern. Es verliert sich in der Tiefe eines unruhigen Gewirrs aus Blättern. Ein Horizont öffnet sich erst in den Darstellungen des Gebiets Aguas Negras, wo vereinzelte Gewächse aus dem stillstehenden Schwarzwasser herausragen und durch ihre symmetrische Spiegelung jene Linie betonen, die die Bildfläche in zwei gleich grosse Hälften teilt.

Die Aufnahmen von Waldräumen und Pflanzen, die in gewisser Weise seine Landschaftsfotografie fortsetzen, ergänzt Baselgia durch Stillleben und Porträts, um der Bedeutung des Waldes als Lebensraum gerecht zu werden. Die indigenen Völker der Waorani und Secoya leben heute im Spannungsverhältnis zwischen ihren traditionellen, der Natur verbundenen Lebensweisen und der Anpassung an die Veränderungen, die das Vordringen der Ölfirmen mit sich bringt. Mit der fortschreitenden Ausbeutung des Regenwalds verlieren sie ihre Heimat und ihre Lebensgrundlage. Im Bewusstsein einer problematischen Tradition ethnografischer Fotografie bemüht sich Baselgia um eine sehr respektvolle Darstellung der Menschen, denen er begegnet und die sich bereit erklären, ihn bei seinem Projekt zu unterstützen. Er hält ihre ernsten Blicke fest und würdigt dabei die Individualität der Porträtierten.

Für die Stillleben arrangiert Baselgia einerseits Früchte des Waldes, erlegte Tiere oder was von ihnen übrigblieb, und andererseits Utensilien des traditionellen Dorfalltags. Als Diapositive vergrössert und in Pergaminhüllen präsentiert, gleichen die Objekte archivierten Fundstücken. Den archäologischen Charakter der Stillleben greift eine weitere Bildgruppe auf: Reproduktionen von ausgewählten Seiten des Buchs Anfänge der Kunst im Urwald, das der deutsche Anthropologe Theodor Koch-Grünberg 1905 veröffentlichte. Im Streiflicht wird auf den unbedruckten Rückseiten der Bildtafeln der Hochdruck der Strichfiguren und Ornamente als feines Relief sichtbar. Baselgia reflektiert mit diesem Zitat die Geschichte der Erforschung des Amazonasbeckens und hinterfragt die Möglichkeiten medialer Vermittlung.

Nicht zuletzt die Zuspitzung der Situation in Brasilien während der vergangenen Monate macht Baselgias neuesten Werkzylus zu einem hochaktuellen Projekt. Obwohl hier keine Bildreportage geliefert wird, die den Anspruch hat, eine Realität darzustellen, über das Artensterben und die Vertreibung der Bewohner des Waldes zu berichten, obwohl hier kein erhobener Zeigefinger vor dem Klimawandel warnt – oder gerade deshalb –, berührt Baselgias Interpretation dieses einzigartigen Lebensraums.

Ausstellung und Publikation wurden unterstützt von: Vontobel Stiftung, Freunde der Fotostiftung Schweiz, Landis & Gyr Stiftung, Ernst Göhner Stiftung, Kanton Zug, Kanton Graubünden, Ernst und Olga Gubler-Hablützel Stiftung, Ars Rhenia, Einwohnergemeinde Baar, Graubündner Kantonalbank.

Die Fotostiftung Schweiz wird regelmässig unterstützt vom Bundesamt für Kultur, von den Kantonen Zürich, Thurgau und Tessin sowie der Stadt Winterthur.

Publikation

Begleitend zur Ausstellung erscheint das Künstlerbuch:
Guido Baselgia, Als ob die Welt zu vermessen wäre
Herausgegeben von der Fotostiftung Schweiz
Edizioni Periferia, 2019

Sonderveranstaltungen

Sonntag, 20. Oktober, 11.30 Uhr Dialogische Künstlerführung
Guido Baselgia im Gespräch mit Teresa Gruber

Sonntag, 1. Dezember, 11.30 Uhr Dialogische Führung
Teresa Gruber im Gespräch mit Dr. Michael Kessler, wissenschaftlicher Leiter des Botanischen Gartens der Universität Zürich und spezialisiert auf tropische Biodiversität und Waldgrenzforschung

Sonntag, 19. Januar, 11.30 Uhr Dialogische Künstlerführung
Guido Baselgia im Gespräch mit Teresa Gruber