Lee Miller »
To believe it
Exhibition: 9 Aug – 18 Oct 2020
Kunsthalle Erfurt
Fischmarkt 7
99084 Erfurt
+49 (0)361-6555666
kunsthalle@erfurt.de
kunstmuseen.erfurt.de/kunsthalle
Tue-Sun 11-18, Thu 11-22
Lee Miller
"To Believe It!"
Ausstellung: 9. August bis 18. Oktober 2020
Kurator: Daniel Blochwitz
Vor nunmehr 75 Jahren begleitete Lee Miller im Auftrag der Vogue als Kriegsfotografin die amerikanischen Truppen beim Vormarsch von der Normandie über Paris, den Elsass, das Rheinland, Hessen und Thüringen bis an die Elbe nach Torgau (und danach nach Bayern) und hat dabei viele, heute bekannte Aufnahmen von den Schauplätzen des 2. Weltkrieges gemacht. Die Ausstellung zeigt eine Auswahl von über einhundert der damals entstandenen Fotografien.
Den Meisten ist Lee Miller (1907–1977) vor allem als Model, Muse und surrealistische Fotografin aus Poughkeepsie (New York) bekannt, die 19-jährig Condé Nast, dem Verleger der Vogue, buchstäblich in die Arme lief, fortan begehrtes Modell für Fotografen, wie Edward Steichen oder George Hoyningen-Huene, wurde, dann in Paris Muse und Partnerin von Man Ray war und in dessen Künstlerkreisen verkehrte, alsbald aber hinter der Kamera genauso aktiv war wie davor und dann, zurück in New York, ihr eigenes erfolgreiches Fotostudio eröffnetet und erstmalig in der Julien Levy Gallery ausgestellt wurde, bevor sie, aufgrund einer kurzzeitigen Ehe mit Aziz Eloui Bey über den Umweg Ägypten, zu Kriegsbeginn mit dem Surrealisten Roland Penrose liiert in England lebte.
Die Erfurter Ausstellung wird nun aber hauptsächlich den Teil ihres fotografischen Schaffens beleuchten, der nun folgen sollte und wohl zu dem wichtigsten gehört, den sie uns hinterlassen hat: ihre Kriegsfotografien. Und so kehren anlässlich des 75. Jahrestages des Kriegsendes Lee Millers Fotografien nun in gewisser Weise an die Schauplätze zurück, wo die Aufnahme einstmals ent-standen waren. Neben einer Auswahl an Fotografien, die den gesamten Zeitraum ihres Kriegsein-satzes abdeckt, werden in Erfurt auch vertiefend bisher nicht oder selten gezeigte Aufnahmen aus Weimar, Buchenwald und Jena zu sehen sein. Abzüge einzelner Fotografien werden dabei neben Lee Millers stark vergrößerten Originalkontaktbögen zu sehen sein.
Lee Millers Leben war gezeichnet von traumatischen Ereignissen, doch es waren vor allem die in ihrer Erinnerung eingebrannten Bilder des Krieges, die sie bis ans Lebensende verfolgen sollten. Die meisten dieser Bilder hatte sie nie auf Film verewigen können und wollen. Sie widersetzten sich ihrem fotografischen Blick. Ihre Kamera schwieg dann. Nur mit surrealistischer Methode konnte sie sich scheinbar überhaupt dem nähern, was heute fotografisch von ihr überliefert ist. Vom Unterbewusstsein gesteuerte und automatisierte Darstellungen der vorgefundenen Realität, oder auch ein vielschichtiger Bildaufbau, gezielte Fragmentierung und fordernde Nahaufnahmen.
In den erstarrten Antlitzen der Toten, mit denen sie in Buchenwald und Dachau konfrontiert wurde, suchte sie nach den Gesichtern ihrer verschollenen jüdischen Freunde aus Paris, stellte sich vor, durch welche Hölle auch sie gegangen sein mussten. All das Gesehene trug zu ihrer späteren Seelenfinsternis bei, denn auf dieses Trauma war und konnte sie, die mit allen Wassern gewaschen schien, nicht vorbereitet sein. Manche ihrer Fotografien lagen nach dem Krieg so schwer auf ihrem Gemüt, dass sich Lee Miller gezwungen sah deren Negative noch im Nachhinein zu vernichten. Heute wissen wir, dass sie an posttraumatischem Stresssyndrom litt, einem Krankheitsbild, das als solches damals noch nicht erkannt und definiert war.
Nach dem Krieg flüchtete sie sich dann in ein eher häusliches Leben in East Sussex, England, umgeben von Familie, Künstlerfreunden und Farm-Alltag. 1956 gab sie den Fotojournalismus auf, packte irgendwann auch ihre letzte Kamera weg und erfand sich als Gourmet-Köchin neu. Die Bilder des Krieges bekämpfte sie mit Alkohol und Verbitterung. Erst nach ihrem Tod im Jahre 1977 entdeckte ihr Sohn, Antony Penrose, auf dem Dachboden den fotografischen Nachlass in Form von 60.000 Negativen und Abzügen und rettete so Millers äußerst wichtigen, aber damals von Vergessenheit bedrohten Beitrag zur Geschichte der Fotografie – als surrealistische Wegbereiterin und als fotografierende Zeitzeugin – für uns, die nachkommenden Generationen.
In dem Jahr als Lee Miller verstarb, veröffentlichte Susan Sontag ihr bekanntes Buch "On Photography", in dem sie die These vertrat, dass Kriegsbilder mit der Zeit ihre nachhaltige Wirkung auf den Betrachter verlieren würden und uns zunehmender Bildkonsum emotional langsam abstumpfen ließ, eine Kritik und Bildskepsis, die abseits der Kriege in den Lehrstuben und Hörsälen interessiert aufgenommen wurde. Doch 2003, in ihrem Buch "Regarding the Pain of Others", äußert Susan Sontag dann Zweifel an ihrer eigenen These und fragt, "Ist das wahr? Ich dachte so, als ich es schrieb. Jetzt bin ich mir nicht mehr so sicher. Was ist denn der Beweis dafür, dass Fotografien eine schwindende Wirkung haben, dass unsere Zuschauerkultur die moralische Wirkung der Bilder von Gräueltaten neutralisiert?", und dann weiter, "Es gibt noch immer eine Realität, die losgelöst von den Versuchen, ihre Autorität zu schwächen, existiert." Sie kritisiert den gängigen Diskurs, der davon ausgeht, "dass jeder nur Zuschauer ist", als zynisch: "Es suggeriert in perverser, unseriöser Weise, dass es kein wirkliches Leid in der Welt gibt.".
Und genau darum ist es wichtig, dass wir Lee Millers Kriegsfotografien weiter und wieder betrachten, uns vor Augen halten, was damals an Grausamkeiten, Leid und Zerstörung geschehen konnte. Auch 75 Jahre nach Kriegsende haben diese Bilder nichts von ihrer Wirkung eingebüßt, sowohl für uns, die wir diese Fotografien schon kennen oder zu kennen glauben, als auch für die Generation, die zum ersten Mal damit konfrontiert wird. "Believe it!", schrieb Lee Miller dazu im Mai 1945. Durch die Ausstellung schließt sich ein Kreis über nunmehr 75 Jahre, womit aber keineswegs ein Ende der nötigen Aufarbeitung erreicht ist, genauso wie der Zeitpunkt der Aufnahmen Lee Millers auch nicht den Anfang des darin gezeigten Horrors darstellen. Vielmehr ist es der Versuch, durch das Überlappen der Zeitfolien, einen direkteren Bezug zwischen Ort und Geschehen herzustellen und damit Erinnerung und Erkenntnis gleichermaßen zu fördern.