Jan Banning »
Retrospektive
Exhibition: 4 Sep – 8 Nov 2020
Städtische Galerie Iserlohn
Theodor-Heuss-Ring 24
58636 Iserlohn
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Wed-Fri 15-19, Sat 11-15, Sun 11-17
Jan Banning
"Retrospektive"
Ausstellung: 4. September bis 8. November 2020
Spätestens seit Veröffentlichung der Fotoserie Bureaucratics im Jahr 2008, zählt Jan Banning zu den herausragenden Vertretern der dokumentarischen Fotografie. Geboren 1954 in den Niederlanden, absolvierte Jan Banning zunächst ein Studium der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte an der Universität Leiden, bevor er sich zu Beginn der 1980er Jahre ganz der Fotografie widmete. Seine akademische Ausbildung übt bis heute einen starken Einfluss auf seine künstlerische Arbeit aus. All seinen fotografischen Langzeitprojekten liegen umfassende Recherchephasen zugrunde. Und sie zeichnen sich durch eine soziologische und anthropologische Herangehensweise aus.
Jan Bannings Werk ist von zwei großen Themenkomplexen geprägt. Ein Thema, das er seit Beginn seiner Karriere als Fotograf immer wieder aufgreift, sind die Spätfolgen von Kriegen. Dies zeigen Langzeitprojekte wie Vietnam Doi Moi (1993), Traces of War (2003) oder Comfort Women (2015), eine Fotoserie über die "Trostfrauen" während des Zweiten Weltkrieges.
Ein weiteres, wiederkehrendes Thema in seinem Werk sind die verschiedenen Ausprägungen staatlicher Macht. Während er sich in Bureaucratics (2008) vor allem mit den Ritualen und Symbolen in Amtsstuben beschäftigte, nahm er in Law & Order (2016) die Justizsysteme verschiedener Länder in den Fokus.
Aktuell arbeitet Jan Banning an Christina’s Case, einem Buch- und Ausstellungsprojekt über die US-Amerikanerin Christina Boyer, die beschuldigt wird, ihre Tochter ermordet zu haben und deshalb seit 28 Jahren in Georgia inhaftiert ist. Jan Banning engagiert sich seit 2018 für ihre Freilassung.
"THE SWEATING SUBJECT"
Die Serie The Sweating Subject zeigt Gruppenporträts von Stammesobersten und ihrem Hofstaat, in deren Reihen auch Jan Banning zu sehen ist. Die abgebildeten Personen gehören der Stämme Gonja und Dagomba an, die in den nördlichen Gebieten von Ghana leben. Mit Ausnahme des Fotografen. Jan Banning war 2016 nach Ghana gereist, um die Verschmelzung zwischen Tradition und Moderne in dem westafrikanischen Land zu dokumentieren. Bei seinen Besuchen der nördlichen Gebiete des Landes wurde er von den dortigen Stammesobersten eingeladen, sich mit ihnen zusammen fotografieren zu lassen. Es wurde bereits viel geschrieben über die Macht des Fotografen, der die Welt bereist und das „Andere“ mit seiner Kamera festhält. Obwohl die Position der Kamera, die Beleuchtung sowie andere ästhetische und technischen Details von Jan Banning bestimmt wurden, hatte er nicht die komplette Kontrolle über die entstehenden Porträtaufnahmen. Es waren entweder sein Fahrer oder einer seiner Übersetzer, die letztendlich entschieden, wann der Auslöser der Kamera gedrückt wurde.
"RED UTOPIA"
"Diese Ausstellung ist kein kommunistisches Manifest. Zwar habe ich mein ganzes Leben im linken
politischen Spektrum verbracht, aber ich habe nie eine kommunistische Partei gewählt. Für mich waren sie mit den 'grauen' Behörden in der Sowjetunion, der DDR und den anderen Satellitenländern verbunden; mit dem maoistischen China und den Roten Khmer: autoritär und verknöchert mit den enormen Schatten des Gulag und der Killing Fields im Hintergrund. Wir sollten aber nicht vergessen, dass auch andere politische Systeme mit Völkermord, Pogromen, Inquisitionen, Kolonialismus und Bürgerkriegen oder einfach durch Armut und Misswirtschaft Millionen von Toten verursacht haben. Am Ende dieser Suche nach der Roten Utopie ist der Kommunismus nicht zu meiner Ideologie geworden. Allerdings haben nun viele der örtlichen Parteimitglieder, die ich unterwegs getroffen habe und die immer noch auf ihrem Weg sind, gewiss einen Platz in meinem Herzen. Entweder wegen ihres eigenen traurigen Schicksals oder weil sie sich oft unbezahlt der Suche nach sozialer Gerechtigkeit widmen. Aus den wackeligen Wohnzimmern einer kommunistischen Ära heraus können sie den einfachen Menschen praktische Hilfe auf vielerlei Weisen anbieten."
"BUREAUCRATICS"
"Das Projekt Bureaucratics handelt von anonymen Beamten, die nur kleine Räder in einer gigantischen
Staatsmaschinerie sind. Die Idee dazu entsprang dem tagtäglichen Ärger über die Exekutivgewalten und einschlägigen Erfahrungen mit ihnen. Sie wurde aber auch gespeist aus der Faszination für die Unerschütterlichkeit, mit der weltweit Millionen von Beamten die Staatsmaschinerien am Laufen halten. Wir wollten die Bürokratie so zeigen, wie sie der durchschnittliche Bürger im jeweiligen Land wahrnimmt, wenn er zum Beispiel um eine Genehmigung ersucht, wenn er eine Archivakte einsehen, Gebühren bezahlen oder bei der Polizei Anzeige erstatten will. Wir haben Service-Schalter außer Acht gelassen, da sie überall gleich aussehen. Bürger, die einen Beamten in seinem Büro aufsuchen, finden dort einen Schreibtisch vor, das Symbol für starre Gesetze und Vorschriften, die das Verhältnis zwischen Staatsdiener und Bürger regeln. Worum es uns geht, ist das Erscheinungsbild der hinter ihren Schreibtischen verschanzten Amtsträger.""
"LAW & ORDER"
Mit Law & Order möchte Jan Banning einen Beitrag zu einer notwendigen öffentlichen Debatte über den Themenkomplex "Strafvollzug und Resozialisierung" leisten. In der fotografischen Studie, die seine soziologische und anthropologische Herangehensweise verdeutlicht, vergleicht er die Justizsysteme in vier Ländern auf vier verschiedenen Kontinenten miteinander: Kolumbien, Frankreich, Uganda und die USA. Seine Bilder enthüllen die tägliche Realität in Polizeibehörden, Gerichten und Haftanstalten, den drei Eckpfeilern des Strafjustizapparates. Die Auswahl der gezeigten Länder wurde zusammen mit dem "Max-Planck-Institut zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht" in Freiburg getroffen und berücksichtigt – neben den Zugangsmöglichkeiten zu den Strafvollzugsanstalten – die Unterschiede der Rechtssysteme, die jeweilige Mordrate und die Unterschiede zwischen entwickelten Industriestaaten und Entwicklungsländern.
"DOWN & OUT IN THE SOUTH"
Genaue Zahlen sind nicht bekannt, der im Auftrag des US-amerikanischen Kongresses erstellte Annual Homeless Assessment Report (2019) geht jedoch davon aus, dass in den Vereinigten Staaten derzeit insgesamt weit über eine halbe Million Menschen vorübergehend oder dauerhaft ohne festen Wohnsitz sind. Seit einigen Jahren befinden sich darunter auch zunehmend Angehörige der Mittelschicht, die im Zuge der 2008 einsetzenden Finanzkrise ihre Häuser und Wohnungen verloren haben. Im Jahr 2010 erhielt Jan Banning eine Einladung zu einem Künstleraufenthalt in Charleston, einer Stadt im US-amerikanischen Bundesstaat South Carolina, um vor Ort ein fotografisches Projekt zu realisieren. Er entschied sich für eine Auseinandersetzung mit dem Thema Obdachlosigkeit und richtete in den Büroräumen eines medizinischen Dienstes für Bedürftige ein improvisiertes Fotostudio ein, in das er obdachlose Männer und Frauen einlud, um sie dort, abseits von ihrem Alltag auf der Straße, zu portraitieren. Im Anschluss an seinen mehrwöchigen Aufenthalt in Charleston weitete Jan Banning das Projekt auf die Metropole Atlanta und das ländliche Mississippi Delta aus.