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Moderne Zeiten
Rudolf Holtappel: Vor August-Thyssen-Hütte, Duisburg-Hamborn 1959, Ludwiggalerie Schloss Oberhausen
© Nachlass Holtappel

Moderne Zeiten

Industrie im Blick von Malerei und Fotografie

Bernd & Hilla Becher » Walker Evans » Claudia Fährenkemper » Rudolf Holtappel » Peter Keetman » Inge Rambow » Albert Renger-Patzsch » Evelyn Richter » August Sander » Henrik Spohler » Otto Steinert » Thomas Struth » Robert Voit » & others

Exhibition: 26 Jun – 26 Sep 2021

Thu 15 Jul

Bucerius Kunst Forum

Alter Wall 12
20457 Hamburg

+49 (0)40-3609960


www.buceriuskunstforum.de

Mon-Sun 11-19, Thu 11-21

Moderne Zeiten
Franz Radziwill: Der Sender Norddeich, 1933
Museum für Kommunikation Frankfurt
© VG Bild-Kunst, Bonn 2021, Foto: Museumsstiftung Post und Telekommunikation

"Moderne Zeiten. Industrie im Blick von Malerie und Fotografie"

Ausstellung: 26. Juni bis 26. September 2021

Erstmals widmet sich eine Ausstellung der Darstellung von Industrie im Dialog der Medien Malerei und Fotografie. Die Schau Moderne Zeiten. Industrie im Blick von Malerei und Fotografie spannt einen zeitlichen Bogen vom Beginn der Industrialisierung bis heute, von der Romantik bis zur zeitgenössischen Fotografie. Nie zuvor wurde die künstlerische Auseinandersetzung mit der Entstehung und Entwicklung von Industrie und den damit einhergehenden Veränderungen von Landschaft und Arbeit im Dialog der beiden Medien beleuchtet. Die Ausstellung versammelt knapp 30 Gemälde und rund 170 Fotografien aus einem Zeitraum von 175 Jahren.

Zu sehen sind Arbeiten von Künstlerinnen und Künstlern wie Adolph von Menzel, Léon-Auguste Mellé, Hugo van Werden, Albert Renger-Patzsch, August Sander, Conrad Felixmüller, Oskar Nerlinger, Franz Radziwill, Walker Evans, Otto Steinert, Evelyn Richter, Bernd und Hilla Becher, Robert Voit, Thomas Struth oder Inge Rambow. Die von Ulrich Pohlmann und Kathrin Baumstark konzipierte Schau beleuchtet chronologisch in fünf Kapiteln, wie sich die künstlerische Industriedarstellung über die Jahrhunderte verändert hat und dokumentiert damit zugleich eindrucksvoll die Geschichte der Industrie in Europa und schlaglichtartig darüber hinaus.

Ausgangspunkt der Ausstellung bilden Arbeiten aus den 1850er Jahren: Fabriken in idyllischer Einheit mit der Natur, Innendarstellungen der Arbeitsstätten und Arbeitsvorgänge in riesigen Produktionshallen von Stahlunternehmen sowie die zunehmende Mobilität durch Eisenbahn und Schiffsverkehr fanden Eingang in das Werk der Maler dieser Epoche. Die Fotografie war zu dieser Zeit noch keine eigene Kunstrichtung, doch wurden Fotografen von Unternehmen mit der Dokumentation von Großbaustellen wie dem Bau von Bahnhöfen und Eisenbahntrassen oder dem Schiffsbau sowie mit werbenden Aufnahmen etwa von Werksgeländen und -hallen beauftragt. Diese Fotografien von Industriearbeit und -bauten werden in der Ausstellung den Gemälden der Zeit gegenübergestellt.

Impressionistische Künstler verwandelten gegen Ende des 19. Jahrhunderts Industrielandschaften zu Stimmungsbildern, in denen sich eigenwillige Lichteffekte studieren lassen. Zeitgleich stellten künstlerisch ambitionierte Amateurfotografen Fabriken und Arbeitsleben in atmosphärischen Kompositionen dar. Auch sozialkritische Tendenzen spielten nun eine zunehmende Rolle.

Während bis dahin Arbeiterinnen und Arbeiter inmitten einer übermächtigen Industriearchitektur eine marginale Stellung einnahmen und sich der Maschinenwelt unterordneten, erfuhr das Verhältnis von Mensch und Technik ab 1900 eine grundlegende Veränderung. Nunmehr rückte die soziale Frage immer stärker in das öffentliche Bewusstsein und Arbeiterinnen und Arbeiter wurden als Individuen wahrgenommen. Fotografen hielten nun auch die prekären Lebens- und Arbeitsverhältnisse des Proletariats etwa in New York und Berlin eindrucksvoll fest.

Moderne Zeiten
Evelyn Richter: Kammgarnspinnerei, Leipzig 1970, Münchner Stadtmuseum
© VG Bild-Kunst, Bonn 2021

Zwischen 1880 und 1930 entwickelte sich in Deutschland das Genre der Industriemalerei ausgehend von Aufträgen seitens Großunternehmen. Maler arbeiteten – gelegentlich mithilfe fotografischer Vorlagen – in Großunternehmen der Stahl- oder Textilindustrie, um die Arbeit in den riesigen Fabrikhallen möglichst realistisch zu erfassen. Im Unterschied dazu setzten die Künstlerinnen und Künstler der Neuen Sachlichkeit zur selben Zeit häufig gesellschaftskritische Akzente. Statt für malerischen Impressionismus oder heroische Industriemotive interessierten sie sich für die soziale und politische Wirklichkeit, um die gesellschaftlichen Verhältnisse im Kapitalismus zu kritisieren. Zu ihren Themen zählten neben der Massenarbeitslosigkeit vor allem der soziale Klassenunterschied. Die neusachliche Industriefotografie hingegen artikulierte in der Regel keine dezidierte Kritik an der bestehenden Gesellschaftsordnung.

Nach 1945 bestimmte die sogenannte Subjektive Fotografie den Formenkanon der Industriedarstellung mit einer experimentell-abstrakten Bildsprache. Im Unterschied zu der technikeuphorischen Vorkriegszeit schwang in den Fotografien nun Distanz zum Fortschritt mit. In den 1960er/70er Jahren finden sich zahlreiche Bildreportagen über den Lebensalltag in Industrieregionen wie dem Ruhrgebiet, meist für illustrierte Zeitschriften erarbeitet. Ins Blickfeld rückten zunehmend Themen wie Umweltverschmutzung oder schwierige Arbeitsbedingungen, die von investigativ arbeitenden Fotojournalistinnen und -journalisten dokumentiert wurden. Mit dem zunehmenden Verschwinden traditioneller Industriebranchen wie dem Kohlebergbau und der Entstehung neuer Energieformen wuchs auch das künstlerische Interesse, eine im Untergang befindliche Industriekultur mit Bauten wie Wassertürmen, Fördertürmen oder Zechen fotografisch festzuhalten.

Seit den 1970er Jahren bis heute haben sich zahlreiche Künstlerinnen und Künstler mit den Folgen der Industrialisierung auseinandergesetzt. Verlassene Industrieruinen, Umweltverschmutzung und -zerstörung, ausbeuterische Arbeitsbedingungen, Minamata, Tschernobyl und Fukushima, die Auswirkungen von Gentechnologie in der Landwirtschaft oder die Veränderung der Lebenswelt infolge von Automatisierung und Digitalisierung werden in ihren Arbeiten thematisiert. Und so stehen am Ende der Ausstellung die Werke zeitgenössischer Fotografinnen und Fotografen, die die Veränderungen unseres Planeten durch die industrielle Ausbeutung der Ressourcen oder auch die Digitalisierung von Arbeitsprozessen sichtbar machen.

Zur Ausstellung erscheint im Hirmer Verlag ein umfangreicher Katalog mit Beiträgen von Florian Ebner, Sabine Friese-Oertmann, Thilo Koenig, Kristina Lowis, Ulrich Pohlmann, Lukas Schepers und Ralf Stremmel (ca. 250 Seiten mit farbigen Abbildungen der ausgestellten Werke, 29,90 Euro in der Ausstellung).

Moderne Zeiten
Oskar Nerlinger: An die Arbeit, 1930
Kulturstiftung Sachsen-Anhalt, Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale)
© S. Nerlinger, Foto: Punctum/Bertram Kober
Moderne Zeiten
Henrik Spohler: Containerterminal, Hamburg 2013, Deutschland
© Henrik Spohler