Dayanita Singh »
Dancing with my Camera
Exhibition: 18 Mar – 7 Aug 2022
Gropius Bau
Niederkirchnerstr. 7
10963 Berlin
+49 (0)30-254860
post@gropiusbau.de
www.gropiusbau.de
Wed-Mon 11-19
Dayanita Singh
"Dancing with my Camera"
Ausstellung: 18. März bis 7. August 2022
Der Gropius Bau zeigt mit "Dancing with my Camera" die erste umfassende Werkschau der international renommierten Künstlerin Dayanita Singh.
Dayanita Singh definiert als Künstlerin immer wieder neu, was Fotografie heute sein kann. Seit den 1980er Jahren hat sie eine wegweisende Praxis entwickelt, die sich Genres entzieht, die Grenzen des Mediums auslotet und unsere Wahrnehmung von Bildern erweitert. Singh befreit das Foto von der Wand und das Buch aus dem Bücherregal, um ganz eigene Darstellungsformen und Verbreitungswege zu schaffen. Die Ausstellung im Gropius Bau wird nun zum ersten Mal Dayanita Singhs Schaffen in seiner Gesamtheit präsentieren und nachzeichnen, wie ihre Fotografien neue Formen verlangen – und kontinuierlich hervorbringen.
Für Dayanita Singh liegt die eigentliche künstlerische Arbeit nicht in der fotografischen Bildproduktion, sondern im Entwickeln von Darstellungsformen, in denen ihre Bilder wachsen können. Sie fordert uns dazu auf, uns neue, beweglichere und zugänglichere Arten von Ausstellungen und Museen vorzustellen. Ihr Werk bewegt sich fließend zwischen Genres, Formen und Räumen – von mobilen Museen über Buch-Objekte zu Büchern, die selbst zu Ausstellungen werden.
Dancing with my Camera vereint zentrale Arbeiten aus Singhs Œuvre: von I am as I am (1999) und Go Away Closer (2007) bis hin zu ihren jüngsten Projekten Let’s See (2021), Museum of Dance (Mother Loves to Dance) (2021), Museum of Tanpura (2021) und Mona Montages (2021). Im Gropius Bau wird außerdem zum ersten Mal ihre neueste Arbeit Painted Photos (2021–2022) zu sehen sein.
Für Dayanita Singh ist die Fotografie kein Selbstzweck, sondern das Rohmaterial ihrer Arbeit. Über einen Zeitraum von vierzig Jahren legte sie ein umfangreiches Bildarchiv an, aus dem nun die Ausstellung im Gropius Bau schöpft. Aktiviert werden ihre Bilder durch die einzigartigen Formen, welche die Künstlerin für sie entwirft. In Dancing with my Camera nimmt Singh uns mit auf eine Reise, auf der wir Freund*innen und Bekannten begegnen – Menschen, die Singh immer wieder in öffentlichen oder privaten Räumen porträtiert hat, in ihren Wohnungen und Häusern, in Archiven oder beim Tanzen in Aufenthaltsräumen und auf Friedhöfen.
"Nachdem ich mein Archiv mit Fotografien aus den letzten vier Jahrzehnten durchgesehen habe, wurde mir klar, dass es kaum von Bedeutung ist, was ich fotografiert habe und wie ich fotografiert habe. Von Bedeutung ist allein, dass ich fotografiert habe und dass ich unablässig fotografiert habe, oft dieselben Orte, Menschen, Jahr für Jahr, Jahrzehnt für Jahrzehnt. Das ist die eigentliche Arbeit." — Dayanita Singh
Die Werkschau beleuchtet auch die frühe Begegnung Dayanita Singhs mit ihrem Mentor, dem Tabla-Meister Ustad Zakir Hussain, die ihre künstlerische Laufbahn prägte und noch während ihres Studiums zur Veröffentlichung ihres ersten Buchs Zakir Hussain: A Photo Essay (1986) führte. An den Wänden der Ausstellungsräume ist das Buch Zakir Hussain Maquette (2019) zu sehen; zudem zählt Hussain zu den Protagonist*innen des Museum of Tanpura (2021).
Mehrere Arbeiten sind Mona Ahmed gewidmet, einer 2017 verstorbenen trans* Person und engen Freundin Singhs, mit der die Künstlerin das mittlerweile zum Klassiker avancierte Buch Myself Mona Ahmed (2001) gestaltete. Teil der Ausstellung ist das neue Projekt Mona Montages (2021), für das Singh Bilder von Mona ausgeschnitten und manuell in ihre Serien Privacy, File Room und Masterji montiert hat. In der Videoarbeit Mona Shayari (2013/2021) ist Mona zudem beim Vortragen von Gedichten in Urdu zu hören.
Zu den zentralen Werken Dayanita Singhs gehören ihre "Museen", Strukturen, die einen wichtigen Wendepunkt in ihrer künstlerischen Praxis markieren und die Grundlage für das Museum Bhavan (2013) bildeten: eine Gruppe aus neun "Museen" auf Reisen. Jedes von ihnen enthält eine Sammlung aus älteren und neueren Fotografien Singhs in beweglichen Holzstrukturen, die Ausstellung und Lagerung vereinen. Diese Museen wurden geschaffen, um die darin gezeigten Bilder schnell austauschen zu können und den Raum, in dem sie aufgestellt werden, zu verwandeln. Durch ihre spezifische Gestaltung sind die Betrachter*innen gezwungen, sich um die Konstruktionen zu bewegen und die Bilder auch durch die Bewegung ihres eigenen Körpers im Raum zu erfahren. Singh bezeichnet das als "Foto-Architektur".
Das Museum of Chance (2013) umfasst 163 Fotografien in einer großen Holzstruktur und lässt sich als das "Muttermuseum" der verschiedenen Museen begreifen. Auf der gegenüberliegenden Seite verwandeln sich die gleichen Fotografien in das Suitcase Museum (2015), das 44 Buch-Objekte des Museum of Chance umfasst. Im selben Raum nehmen diese Fotografien auch die Form eines der neun Bücher im Leporello-Format der Museum Bhavan-Box (2017) an. Auf diese Weise kreist Singhs Werk kontinuierlich zwischen den Formen, die sie erschafft. Das Museum of Shedding (2016) bildet wiederum einen häuslichen Raum, der so angelegt wurde, dass die Künstlerin selbst darin leben kann – mit einem Bett, einem Schreibtisch und einer Bank für Besucher*innen. Die Architecture Pillars bestehen aus modularen Kuben, die in unzähligen Variationen neu angeordnet und zum einfacheren Transport flach zusammengelegt werden können.
Durch klassische Arbeiten wie File Museum (2012), File Room Bookcase (2014), Time Measures (2016) und Kochi Box (2016) wird Dayanita Singhs Faszination für persönliche und institutionelle Archive in der Ausstellung reflektiert. Eine zentrale Rolle für Singhs Schaffen spielt jedoch auch ihr eigenes, hauptsächlich aus analogen Kontaktbögen bestehendes Archiv, das die Künstlerin unaufhörlich neu sichtet. Auf diese Weise entwickelt sie neue Arbeiten wie etwa Let’s See (2021), deren vollkommen neue Form sich aus dem Kontaktbogen ableitet.
Menschliche Nähe, Tanz, Bewegung und Musik sowie Begegnungen mit Menschen, Objekten und Medien bilden die Leitmotive in Singhs fotografischen Streifzügen durch Kontinente und Geografien. Die eigens für die Ausstellung im Gropius Bau fertiggestellte Arbeit Museum of Dance (Mother Loves to Dance) (2021), eine fotografische Typologie von Tänzer*innen, beruht auf Singhs Faszination für Bewegung. Das Zusammenspiel der insgesamt 108 Fotografien suggeriert eine Art verwandtschaftlicher Beziehung zwischen den Figuren aus Singhs Arbeiten – von Mona, die auf den Straßen oder dem Friedhof tanzt, auf dem sie gegen Ende ihres Lebens wohnte und nun begraben ist, über Singhs Mutter, die auf Familienhochzeiten tanzt, bis zu einigen der bekanntesten klassischen indischen Tänzer*innen und Bollywood-Choreograf*innen.
Dancing with my Camera legt einen besonderen Fokus auf Dayanita Singhs Buch-Objekte, die einen wesentlichen Bestandteil ihres Œuvres darstellen. Für Singh ist das veröffentlichte Buch keine Ergänzung der Ausstellung, sondern eine Ausstellung für sich – einem ständigen Prozess der Wandlung und Umgestaltung unterworfen und allen zugänglich, die es mit nach Hause nehmen möchten. Auf diese Weise lädt sie die Menschen ein, zu Hause selbst zu Kurator*innen ihres Werks zu werden. Singh begreift die Bildproduktion nur als einen sehr kleinen Teil der Fotografie und sieht die eigentliche Stärke des Mediums in seiner Verbreitungsfähigkeit. Aus diesem Grund bezeichnet sie sich oft als "Offset-Künstlerin". Bislang hat Singh 13 Bücher veröffentlicht. Indem sie ihnen eine wichtigere Rolle als ihren Ausstellungsdrucken zuweist, verändert sie das Verständnis des Mediums Buch für die Fotografie. Auch die meisten ihrer Arbeiten konzipiert sie zuerst in Buchform; viele dieser ursprünglich im Steidl-Verlag erschienen Kunstwerke werden nun in der Ausstellung als Buch-Objekte gezeigt.
"Mein Medium ist die Fotografie. Ich drehe und wende sie, ich ringe mit ihr – bis die Form sich mir offenbart. Darin besteht meine Arbeit als Künstlerin: die Möglichkeiten freizulegen, die die Fotografie in sich trägt." — Dayanita Singh
Die Ausstellung im Gropius Bau präsentiert erstmals die vielfältigen Formen, die Singh im Dialog mit ihren Fotografien aus vier Jahrzehnten geschaffen hat. Die Werkschau beleuchtet, wie die Künstlerin das Medium der Fotografie um das entscheidende Konzept der Form erweitert.
Dancing with my Camera wird von einem umfangreichen Katalog mit wissenschaftlichen Essays begleitet, der bei Hatje Cantz erscheint. Die Ausstellung wird außerdem im Museum Villa Stuck in München, im Musée d’Art Moderne Grand-Duc Jean – Mudam in Luxemburg sowie im Serralves Museum of Contemporary Art in Porto zu sehen sein.
Dayanita Singh wurde 1961 in Neu-Delhi, Indien, geboren. Sie studierte Visuelle Kommunikation am National Institute of Design in Ahmedabad sowie Fotojournalismus und Dokumentarfotografie am International Center of Photography in New York. Zu ihren jüngsten Einzelausstellungen zählen: Dayanita Singh: Pothi Khana, Minneapolis Institute of Art (2021); Museum Bhavan, Tokyo Photographic Art Museum (2017); Collection Display: Go Away Closer, Tate Modern, London (2017); Suitcase Museum, Dr. Bhau Daji Lad Museum, Mumbai (2016); Museum of Machines: Photographs, Projections, Volumes, Fondazione MAST, Bologna (2016); Conversation Chambers Museum Bhavan, Kiran Nadar Museum of Art, Delhi (2015); Dayanita Singh, Art Institute of Chicago (2014) und Go Away Closer, Hayward Gallery, Southbank Centre, London (2013).
Singh lebt und arbeitet in Neu-Delhi.