ZEITKOLORIT
Freie Klasse Eva Bertram
Petra Dachtler » Jan Jeon » Gabriele Kahnert » Gunnar Krüger » Nora Kuhn » Zorana Mušikić » Nadja Rentzsch »
Exhibition: 7 May – 12 Jun 2022
Neue Schule für Fotografie
Brunnenstr. 188-190
10119 Berlin
Thu-Sun 13-18
"ZEITKOLORIT"
Freie Klasse Eva Bertram
Petra Dachtler, Jan Jeon, Gabriele Kahnert, Gunnar Krüger, Nora Kuhn, Zorana Musikic, Nadja Rentzsch
Ausstellung: 7. Mai bis 12. Juni 2022
Eröffnung: Freitag, 6. Mai, 19 Uhr
ZEITKOLORIT zeigt ausgewählte Ergebnisse fotografischer Langzeitprojekte, die im Rahmen der Freien Klasse Eva Bertram 2021 entstanden sind.
Sieben fotografische Positionen zeichnen die Vielfarbigkeit unserer Zeit nach, mal durchscheinend wie eine Lasur, mal deckend wie ein neuer Anstrich über alten Farbschichten. Es geht um Schatten der Vergangenheit im Licht der sibirischen Tundra, die bis heute nachwirken. Um Traditionen, die gelebt und zeitgleich museal aufbereitet werden, wie solche, denen alle Jahre wieder schwer zu entkommen ist. Auf dem Spiel stehen menschliche Existenzen, Gewissheiten und der Neuanfang anderswo sowie eine achtsame Wahrnehmung der artenreichsten Gruppe aller Lebewesen, der Insekten. Und es stellen sich Fragen, zum Beispiel, ob Großwerden behütet und frei zugleich sein kann und was passiert, wenn Familienerinnerungen von Algorithmen neu interpretiert und so aus ihrer Zeit gerissen werden.
ZEITKOLORIT wurde kuratiert von Eva Bertram, freischaffende Fotokünstlerin und Dozentin an der Neuen Schule für Fotografie sowie der UdK Berlin. Die "Freie Klasse Eva Bertram" existiert seit 2013 und ist ein Workshop-Format zur kontextualisierenden Betreuung persönlicher, selbst gewählter Fotoprojekte, die außerhalb schulischer oder studentischer Rahmenbedingungen entstehen.
Petra Dachtler "Fluchtpunkte"
Konvergierende Linien, die sich in einem Punkt schneiden, aber doch unterschiedliche Wege genommen haben. Wie die Schicksale der sechs türkischen Familien, die Petra Dachtler in ihrem Projekt vorstellt. Sie alle verließen die Türkei nach dem Putschversuch 2016 und verloren so von einem Tag auf den anderen ihre Heimat und ihre Existenz. Auf oftmals gefährlichen Wegen kamen sie nach Deutschland, wo sie als politische Flüchtlinge Aufnahme fanden. Dennoch ist der Neuanfang nicht immer leicht: Dankbarkeit und Erleichterung mischen sich mit Heimweh und Verlorenheit,Optimismus und Zuversicht mit Enttäuschungen und traumatischen Erinnerungen.
Jan Jeon "Haenyo"
Die Seefrauen auf Jejudo, der größten Insel im Süden von Korea - bis zu 20 Meter tief und 4 Minuten lang können sie tauchen. Sie haben ihre Körper seit frühester Kindheit darauf trainiert, um wertvolle Meeresfrüchte an die Oberfläche zu bringen. Es ist ein riskantes und gefährliches Handwerk, das auf eine lange Tradition zurückblickt und heute nur noch von Frauen ausgeführt wird. Während die Seefrauen ihre Bräuche und Rituale aktiv leben, sind sie zugleich bereits Gegenstand der musealen Darstellung. Die Bilder von Jan Jeon thematisieren die Gleichzeitigkeit der historischen Aufbereitung dieser Kultur, die seit 2016 Teil des immateriellen UNESCO Weltkulturerbes ist, und ihrer praktischen Ausübung.
Gabriele Kahnert "Der 24.12."
Der 24. Dezember ist einer der höchsten Feiertage in der christlichen Kultur, für viele Menschen ist es von großer Wichtigkeit, wo, wie und mit wem sie diesen Tag verbringen. Man zieht sich zurück in den Kreis der Familie und der Tradition oder versucht mit großer Energie, sowohl dem einen wie dem anderen zu entkommen. Es ist kaum möglich, die Besonderheit dieses Tages zu ignorieren. Gabriele Kahnert hat von 1994 bis 2017 vierundzwanzig Jahre lang am 24.12. fotografiert, wo immer sie gerade war, was immer gerade passierte.
Gunnar Krüger "Wahlverwandtschaft"
Ich könnte mal mein digitales Erbe regeln. Aber wie schaut es eigentlich mit dem Erbgut aus? Weiß die Suchmaschine wirklich mehr, als wir über uns? Liebgewonnene Schnappschüsse aus dem elterlichen Familienalbum bilden den Ausgangspunkt für die Suche nach der digitalen Verwandtschaft. Der Algorithmus spuckt unentwegt optisch ähnliche Bilder aus. Skurrile Vorschläge nähren Zweifel an der vermeintlichen Treffsicherheit des Digitalen. Gleichzeitig kommt den eigenen Familienbildern neue Bedeutung zu.
Nora Kuhn "wild"
"wild" ist ein fortlaufendes dokumentarisches Projekt, das sich mit Kindheit und Mutterschaft auseinandersetzt. In der Reihe dokumentiert die Fotografin Nora Kuhn ihre eigene Mutterschaft und das Großwerden ihrer Töchter, das Verbundensein, gemeinsame Wachsen und Sich-selbst-Finden im Familienkontext. "wild" erzählt von dem Wunsch nach einer ungebändigten Kindheit in der Natur, frei und wild – zeitgleich im behüteten Schutzraum, den Elternschaft schafft, durch Elemente wie:
Gegenüber, Begleiter, Reibungspunkt.
Zorana Mušikic "GHOSTS ALONG THE DEAD TRACK" (Work in Progress)
"GHOSTS ALONG THE DEAD TRACK" ist ein 2018 begonnenes fotografisches Projekt durch Westsibirien, entlang der von Gulag-Häftlingen erbauten Eisenbahnlinie am Nordpolarkreis; eine Reise durch die menschenleere Tundra, der Heimat der Nenzen, bis hin zu den Industriestädten und Gasfeldern der größten Erdgasvorkommnisse der Erde; ein antizyklischer Trip aus der Gegenwart in die Vergangenheit gegen die Zeit, um die jahrzehntelang im Eis der sibirischen Tundra konservierten Überreste von Stalins "großartigem Plan zur Transformation der Natur" zu dokumentieren, während ein multinationales Bahn- und Straßengroßprojekt schon begonnen hat, die Spuren der "toten Trasse" zu überschreiben. Mit dem neuen Bauvorhaben tauchten neue Menschen, neue topographische Zeugnisse auf, andere blieben oder verschwanden. Und während sich der Mensch immer weiter in die Natur einschrieb, den Permafrost bezwang und seine Geschichte des Fortschritts im Namen des Kapitals weitererzählte, wich das Narrativ des Kalten Krieges zugunsten des globalen Interesses an der Ausbeutung fossiler Brennstoffe. Die Beteiligung deutscher Unternehmen innerhalb deutsch-russischer Joint Ventures zur Erdgasförderung in Westsibirien besteht trotz
des Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine weiter fort.
Das Projekt wurde gefördet durch das Grenzgängerprogramm der Robert Bosch Stiftung (2018), den Leica Loan Pool und Crowd Funding (2019) und das Initial Stipendium der Akademie der Künste (2021).
Nadja Rentzsch "Glanz & Gloria"
Insekten. Schwirren durch die Luft. Laufen über Tisch und Wände. Liegen zwischen Fensterscheiben. Leblos in Ecken. Eingestaubt. Oft unvollständig. Zerbrechlich. Porträtiert auf einer Bühne, im Licht, erstrahlen Eigenart und Anmut, Pracht und Herrlichkeit, scheinbar Perlmutt, Samt und Seide – am Ende Staub.