Der große Schwof
Feste feiern im Osten
Claus Bach » Tina Bara » Sibylle Bergemann » Christian Borchert » Christiane Eisler » Gerhard Gäbler » Wolfgang Gregor » Harald Hauswald » Bernd Hiepe » Harald Hirsch » Jürgen Hohmuth » Thomas Kläber » Eberhard Klöppel » Bertram Kober » Werner Lieberknecht » Ute Mahler » Werner Mahler » Olaf Martens » Roger Melis » Florian Merkel » Barbara Metselaar Berthold » Jens Rötzsch » Ludwig Rauch » Andreas Rost » Ludwig Schirmer » Erasmus Schröter » Wolfgang Schröter » Maria Sewcz » Gabriele Stötzer » Ines Thate-Keller » Gerhard Weber »
Exhibition: 1 Jul – 15 Oct 2023
Kunstsammlung im Stadtmuseum Jena
Markt 7
07743 Jena
+49 (0)3641-498260
kunst@jena.de
www.kunstsammlung-jena.de
Di, Mi, Fr 10-17, Do 14-22, Sa/So 11-18
"Der große Schwof"
Feste feiern im Osten
Ausstellung: 1. Juli bis 15. Oktober 2023
Eröffnung: Freitag, 30. Juni, 19 Uhr
Es ist kein Geheimnis, dass eine jede Gesellschaft ihre innere Verfasstheit besonders deutlich über ihre spezifische Art des Feierns ausdrückt. Unsere Ausstellung stellt dies am Beispiel der DDR erstmals dar und scheut nicht die Breite der Beobachtung. Ausgestellt sind mehr als 300 Fotografien – vor allem aus den 19080er-Jahren – von 31 Künstlerinnen und Künstlern. Die Kapitel sind verrückt, langweilig, von außerordentlicher Schönheit oder so stumpf wie ein normierter Alltag nur sein kann. Sie sind so heterogen wie das Leben und die Lebenserfahrungen in diesem untergegangenen Land gewesen sind.
Feiern zielen traditionell auf Tiefe, Einheit und Selbstverständigung. Sie beinhalten sinnstiftende Elemente, die sich in Form von Jahrestagen, Revolutionen oder religiösen Ereignissen oftmals in definierten Abständen wiederholen. Feste hingegen sind spontan, oft lockerer oder sogar frech, manchmal rauschhaft und ekstatisch, immer aber sind sie ein willkommenes Ventil zur Ablenkung und Entrückung aus einem beschwerlichen oder einfach nur biederen Alltag. Deshalb wurden Feste von den Regierenden in der DDR oft toleriert oder ausgerichtet. Andererseits haben Feste aber auch ein subversives Potenzial, negieren Hierarchien, missachten Ordnungen und Regeln und bereiten den Boden für Ideen, die Grenzen einreißen. Aus einem Fest ist vermutlich nie eine Revolution entstanden, oft waren Feste aber kleine Übungen, die den Gemeinsinn gestärkt und im Abseits herrschender Ideologien das Selbstbewusstsein gefestigt haben. In vielen Fällen waren Feiern und Feste nicht klar zu trennen und vermischten sich in einer Kultur, die genau diesen Aktivitäten einen großen Raum eingeräumt hat.
Die Ausstellung blickt auf Feste und Feiern in der DDR, insbesondere in den 1980er-Jahren. Das sind vor allem jene Jahre in denen die Fassaden bröckelten, viele Menschen das Land verließen und eine neue, selbstbewusste Generation von Menschen die eigene Existenz hinterfragten. In dieser Zeit spielten Feste und Feiern eine große Rolle, waren essenziell – und hatten eine Bedeutung, die sich aus dem Erleben geschlossener Gesellschaften ableitet. Neben offiziellen Feiern waren das in erster Linie Feste, deren Art und Weise man selbst bestimmen konnte; und die Bilder zeigen es: Es ist kaum zu fassen, welche Vielfalt trotz schwieriger politischer Bedingungen möglich war.
Fragt man Menschen nach ihrem geselligen Leben in der DDR, geht fast immer ein Leuchten über ihre Gesichter. Viele erzählen gern von genau diesen Erinnerungen, von ungezwungenen Gemeinsamkeiten, an ein Miteinander jenseits der offiziellen Normen und politischer Vorgaben. Feiern, Tanzen, Trinken: Zu allen Zeiten galt „Schwofen“ als willkommenes Ventil für aufgestaute Energien, die aus dem Diktat von Meinungen, Redeverboten, Diskreditierungen und einer Bevorteilung opportunistischer Verhaltensweisen erwachsen sind.
Die Menschen trafen sich spontan und mehr oder weniger organisiert, in privaten oder inoffiziellen Runden oder in oft eigens hierfür geschaffenen Nischen. Jenseits der Zwänge des Alltags und verordneter Ideologie entzog sich dieses 'andere' Leben weitgehend offizieller Kontrolle und eröffnete wohltuende Freiräume. Neben den gesetzlichen Feiertagen und den damit verbundenen alljährlichen Ritualen entwickelte sich so eine lebendige Subkultur der Unterhaltung, angesiedelt in Clubs, Bars, Cafés, Szenekneipen und im privaten Umfeld.
chic, charmant und dauerhaft
Die legendären Modehappenings im Prenzlauer Berg oder wie Privates politisch wird
Künstlergespräch mit dem Fotografen Jürgen Hohmuth
Donnerstag, 5. Oktober 2023, 19 Uhr, Kunstsammlung Jena, Markt 7 (10 Euro / 8 Euro)
Die Themen sind mit Absicht breit gewählt und reichen von der Männertagssause im Vogtland über Dorfhochzeiten und Spontanpartys in Kneipen und Wohnungen bis hin zu den legendären Modehappenings im Prenzlauer Berg. Gezeigt werden rund 300 Fotografien von 31 Künstlerinnen und Künstlern, die dieses privat und öffentlich so gewichtige Thema in Anlässen und künstlerischen Handschriften bis in die Zeit der Wende darstellen und hinterfragen. Die Kapitel sind verrückt, langweilig, von außerordentlicher Schönheit oder so stumpf wie ein normierter Alltag nur sein kann. Sie sind so heterogen wie das Leben und die Lebenserfahrungen in diesem untergegangenen Land gewesen sind. Jenseits aller Klischees vom grauen Osten und tagtäglicher Überwachung zeigt die Ausstellung ein höchst überraschendes Stück Alltagskultur – lebendig, bunt und überraschend vielfältig.
Es ist kein Geheimnis: Kunst aus dem Osten hat es schwer, bis heute. Dennoch gibt es Veränderungen, neue Gemeinsamkeiten und nach mehreren Jahrzehnten ist auch im Osten der Blick auf die eigene Geschichte unbefangener, offener und deutlich neugieriger geworden. Zunehmend entwickelt sich ein waches Interesse für das Leben, Denken und das Zusammenleben in einer Gesellschaft, die sich auch im Rückblick auf die eigene Geschichte neu ausgerichtet hat. Umfangreiche Ausstellungen in Berlin, Dresden, Rostock und zuletzt in Leipzig haben diesen Weg vorbereitet, intellektuell flankiert und in Publikationen und Dokumentationen kritisch sortiert. In diesem Zusammenhang spielt die Fotografie als künstlerische Reflexion gesellschaftlichen Handelns und deren Erinnerungsräume in der DDR eine besondere Rolle, die bis in die Gegenwart hineinwirkt.
"Der große Schwof" ist nicht nur eine Reminiszenz an die Kultur des Festefeierns in der Vergangenheit. Die Ausstellung widmet sich auch der ostdeutschen Fotografie als Medium und künstlerischer Bildform, die gesellschaftliche Selbstverständnisse unmittelbar und aktuell vergegenwärtigt.
Die Themen der Ausstellung sind: Männertag/ Frauentag/ Betriebsfeiern/ Rockkonzerte und Rockfans/ Jugendweihe/ Berka/ Underground Partys im Prenzlauer Berg/ Fasching in Kunsthochschulen und Cafés/ Dorfhochzeiten/ Klub der Alleinstehenden/ Striptease im Osten/ Miss-Wahlen/ Bohème Feste auf dem Land/ Kunsthappenings, Künstlerfeste/ Punk/ Turnfeste und Indianertreffen/ Tanzturniere/ Volksfeste/ Discobesucher/ Tanzen und Trinken/ Allerleirau Modehappenings/ Staatsfeiern/ Clärchens Ballhaus/ Sorbenfeste/ Underground Künstlerfeste/ Café Resi Weimar/ Rummel und Studentenfeste.
Die Ausstellung wurde von Petra Göllnitz kuratiert und in Zusammenarbeit mit der Kunstsammlung Jena realisiert. Nach der Präsentation in Jena wird die Schau 2024 im Brandenburgischen Landesmuseum für moderne Kunst und in der Kunsthalle Rostock gezeigt. An allen drei Orten wird die Ausstellung angepasst, und in leicht veränderten Fassungen zu sehen sein.
Zur Ausstellung erscheint ein Katalog mit 240 Seiten und ca. 270 Abbildungen. Neben den zahlreichen Abbildungen und zwei einführenden Texten werden alle Künstlerinnen und Künstler mit eigenen Statements/Textzitaten und Kurzbiografien vorgestellt.
Gezeigt werden Arbeiten von: Claus Bach, Tina Bara, Sibylle Bergemann, Barbara Metselaar Berthold, Christian Borchert, Christiane Eisler, Gerhard Gäbler, Wolfgang Gregor, Harald Hauswald, Bernd Hiepe, Harald Hirsch, Jürgen Hohmuth, Thomas Kläber, Eberhard Klöppel, Bertram Kober, Werner Lieberknecht, Ute Mahler, Werner Mahler, Olaf Martens, Roger Melis, Florian Merkel, Ludwig Rauch, Andreas Rost, Jens Rötzsch, Ludwig Schirmer, Erasmus Schröter, Wolfgang G. Schröter, Maria Sewcz, Gabriele Stötzer, Ines Thate-Keler, Gerhard Weber.