"Becker & Becker. Fotografien"

Ausstellung: 20. August bis 29. Oktober 2023

Artist Talk mit Boris Becker: Mittwoch, 18. Oktober, 18:30 Uhr

Die Ausstellung Becker & Becker stellt eine künstlerische Beziehung von Vater und Sohn vor: Jürgen Becker (*1932, Köln) und Boris Becker (*1961, Köln). Beide sind in unterschiedlichen Metiers verwurzelt: Jürgen Becker ist einer der derzeit wichtigsten deutschsprachigen Lyriker, Prosaschriftsteller und Hörspielautoren, er stand im Austausch mit Günter Grass, Uwe Johnson und Hans Magnus Enzensberger.

Boris Becker studierte an der Hochschule der Künste in Berlin West und anschließend bei Bernd Becher an der Düsseldorfer Kunstakademie. Seitdem ist er als Fotograf, Filmemacher und Verleger tätig. Sein künstlerisches Werk konzentriert sich auf Architektur und Landschaftsfotografie, wobei vorrangig Serien entstehen, die konzeptuell geprägt sind.

Neben dem jahrelangen, regen Austausch zu ästhetischen Fragen kam es zu einer konkreten Zusammenarbeit im Bereich der Fotografie, bei der der diplomierte Fotograf das Werk seines Vaters wiederentdeckte und publizierte: Es handelt sich um die New-York-Bilder des fotografischen Autodidakten. Nach einer Lesereise durch Kanada und die USA verweilte Jürgen Becker für einige Wochen auf Einladung seines Freundes und Schriftstellerkollegen Max Frisch in New York. Kolportiert wird, dass Frisch Becker überzeugte, Porträtaufnahmen von ihm anzufertigen. Becker sei dafür prädestiniert, gerade weil er nicht in diesem Metier ausgebildet war und Frisch sich unverstellte und ungekünstelte Bilder von der gemeinsamen Session versprach.

Die Porträts sind bis heute verschollen, erhalten haben sich aber die anderen Schwarzweißaufnahmen Jürgen Beckers von New York, welche stilistisch an die Street Photography anknüpfen. Immer hat Jürgen Becker die Kamera auf Reisen dabei, für New York hatte er sich vorgenommen, seine Wege durch die Stadt zu dokumentieren und auf diese Weise ein visuelles Tagebuch zu erstellen. Aber auch diese Aufnahmen sollten vorerst nicht publiziert werden, sein Hausverlag Suhrkamp lehnte das Projekt ab und die Negativfilme verschwanden in Kisten, wo sie in Vergessenheit gerieten. In Abstimmung mit seinem Vater stellte Boris Becker fast 40 Jahre später die Abzüge her und führte sie in dem Fotoband "Jürgen Becker. New York 1972" (Sprungturm Verlag, Köln 2012) zusammen. Jürgen Becker war und blieb der bildenden Kunst zugetan: Er arbeitete u.a. mit dem Fluxuskünstler Wolf Vostell zusammen, später mehrfach mit seiner Frau, der Künstlerin Rango Bohne. Auch entstanden weitere Projekte mit seinem Sohn, z.B. die Publikation "Geräumtes Gelände" (1995, Text: Jürgen Becker, Fotografien: Boris Becker).

Jürgen Becker selbst hat eine besondere Beziehung zu Erfurt, die Stadt ist eine biografische Station des Schriftstellers. Seine Familie verbrachte die Jahre von 1939 bis 1947 in Erfurt, bevor sie wieder in Richtung Köln zog. Die Kriegskindheit in Erfurt prägt sein Werk nachhaltig. Erfurt taucht immer wieder in seinem literarischen Schaffen auf, bei dem sich im biografischen Erzählen der fragmentarische Wechsel von Erinnerungen und Reflexionen verschränkt, nicht nur in Foxtrott im Erfurter Stadion. "Gedichte" (Suhrkamp, 1993), auch in anderen Texten (Erzählen bis Ostende, 1981, Aus der Geschichte der Trennungen, 1999) sind Bezüge zur thüringischen Landeshauptstadt und ihrer Umgebung erkennbar. Neben zahlreichen renommierten Auszeichnungen (Uwe-Johnson-Preis, Büchner-Preis, Schiller-Ring) erhielt Jürgen Becker 2011 den Thüringer Literaturpreis.

Das fotografische Werk Boris Beckers wird in der Ausstellung umfänglich präsentiert. Die Auszüge aus verschiedenen Farb- und Schwarzweißserien, Bilder im Groß- sowie im Kleinformat bieten einen Einblick in das Schaffen des Künstlers. In den detailgenauen Aufnahmen geht es Becker nicht um die Dokumentation bedeutsamer Orte oder Bauwerke, sondern um eine kontinuierlich durchgeführte fotografische Studie der von ihm entdeckten Besonderheit seiner Motive. Ihn interessieren übersehene, scheinbar unwichtige Facetten, die jedoch unser Wesen prägen, die den Umgang mit unserem Lebensumfeld, mit Natur- und Kulturräumen offenbaren und zugleich Reflexionen über Wahrnehmung und Medien sind. Diese zeitliche, soziale und gesellschaftliche Komponente in seinem Werk unterscheidet seine Arbeiten von den kühlen, konsequent konzeptuellen Fotografien seines Lehrers Bernd Becher, die als typologische Untersuchungen eines Gegenstandes angelegt sind.

Obwohl der Mensch als Abbild in Beckers Bildern fehlt, sprechen die Fotografien sehr deutlich von seiner Anwesenheit, seinem Tätigsein und seinem Gestaltungswillen. Zum Œuvre gehören ebenso abstraktere Bilder, deren abgestufte Farb- und Grauwerte, deren Strukturen und Muster – mal streng geordnet, dann wieder chaotisch wuchernd – einer Landschaft oder einem Raum entnommen sind und diese bildnerischen Komponenten in den Vordergrund rücken, sodass sich in ihnen ein malerischer Umgang mit dem Material offenbart.

Viele der Serien entstehen mit den Mitteln der Großbildfotografie, die ein kompositorisch großräumiges und ein detailgenaues Abbild der Wirklichkeit begünstigt. Jedoch geht es Boris Becker weniger um die bloße Wiedergabe visueller Erscheinungen, sondern vielmehr darum, das Vertrauen in die Wirklichkeit sowie die auf sie Bezug nehmenden Bilder auf den Prüfstand zu stellen.

Für die New-York-Serie von Jürgen Becker arbeitet die Kunsthalle Erfurt mit dem Museum für Photographie Braunschweig zusammen, die Auswahl und Präsentation der Arbeiten von Boris Becker wurden in Kooperation mit dem Künstler erstellt.

Förderer: Kulturstiftung des Freistaats Thüringen und Sparkasse Mittelthüringen