Michael Schäfer »
2021_57 – A Screen Shot Diary of Distant Occurrences
Exhibition: 13 Oct – 10 Nov 2023
Thu 26 Oct
Galerie Hübner & Hübner
Grüneburgweg 71
60323 Frankfurt (Main)
069-721281
info@galerie-huebner.de
www.galerie-huebner.de
Tue-Fri 13-18:30, Sat 10-14
Michael Schäfer
"2021_57 - A Screen Shot Diary of Distant Occurrences"
Ausstellung: 13. Oktober bis 10. November 2023
Eröffnung: Freitag 13. Oktober, 18 Uhr
Artist Talk: 19 Uhr
Nach elf Tagen blutiger Auseinandersetzungen mit Israel feiern Anhänger der Hamas in Gaza ausgelassen den Waffenstillstand als großen Sieg. Im Süden der Türkei geraten zahlreiche Waldbrände völlig außer Kontrolle während in Bangladesch zeitgleich heftiger Monsunregen ein Rohingya-Flüchtlingscamp überflutet. Der afghanische Komiker Kasha Zwan wird von Taliban-Kämpfern entführt und hingerichtet, nachdem er sich über ihre Anführer auf TikTok lustig gemacht hat. Es ist das Jahr 2021. In Deutschland verstopfte die Berichterstattung über das heimische Pandemiegeschehen die Nachrichtenkanäle. Das Ferne erschien noch ferner, in dieser Zeit, in der unsere Bewegungsradien so stark eingeschränkt waren. Doch der ganz alltägliche Wahnsinn in der Welt, Flucht, Hunger, der oft ohnmächtige Kampf der Menschen für Rechte und Freiheit, um Ressourcen und Vorherrschaft, gegen extreme Naturereignisse, all das ging unvermindert weiter. Michael Schäfer hat davon ein mediales Tagebuch angefertigt - jede Woche einen Würfel mit einem Screenshot aus einem Nachrichtenvideo auf jeder Seite, für 53 Wochen, ein Jahr in seinem und unser aller Leben.
Würfel kennen wir aus Kinderzimmern, als mit Bildern bedruckte Objekte oder von den Spieltischen in Casinos. In der Arbeit von Schäfer werden sie zu Trägern virtuell und zufällig wirkender, jedoch sehr konkreter Schicksale oder Begebenheiten. Die 318 Bilder des Projekts bilden ein abgeschlossenes Archiv, welches in Auszügen zum ersten Mal in der Ausstellung vorgestellt wird. Es sind keine außergewöhnlichen Bilder, die Schäfer ausgewählt hat. Sie sind eher schwer lesbar. Es ist unklar, worum es sich handelt und man braucht den begleitenden Text, um die einzelnen Motive einzuordnen. Zugleich handelt es sich jedoch um sorgsam recherchiertes Bildmaterial und somit um ein Zeugnis bzw. eine Art Sediment von Ereignissen, die sich an ganz bestimmten Orten auf der Erde zugetragen haben.
Angesichts der gegenwärtigen Unsicherheit technischen Bildern gegenüber mag ein Beharren auf Authentizität ungewöhnlich und gewagt erscheinen. Doch geht es um die grundsätzliche Frage, ob die Realitäten hinter den Bildern uns tatsächlich erreichen bzw. sogar noch berühren können oder, anders herum gefragt, welchen Grad an Abstraktion sie beim Passieren der digitalen Netzwerke und Interfaces erfahren. Fotografische Bilder, sagt Schäfer, verdrängen die Realität, die ihnen zu Grunde liegt. Sie bekommen eigene Geschichten und Bedeutungen in den jeweiligen Kontexten, in denen sie auftauchen und mit denen sie sich verbinden. Deutlich gemacht wird dies in der zugehörigen Videoarbeit, in der die Würfel und damit die Bilder in unterschiedlichen Umgebungen und Situationen platziert und so in andere Bezugsräume gestellt werden.
Präsentiert werden die Würfel jeweils in aufgefalteter Form, montiert vor unterschiedlichen Meeresansichten. Zum einen bildet die Horizontlinie einen ruhigen Gegenpol zur Detailfülle der Bilder, zum anderen kann das Meer als Projektionsfläche für eine Vielzahl von Assoziationsmöglichkeiten dienen, die über den Mediendiskurs hinausweisen. Die zusätzlich gezeigten Reproduktionen einzelner Würfelseiten ermöglichen eine andere, genauere Wahrnehmung der ansonsten recht kleinen Motive. In ihrer Reihung und jeweiligen Nachbarschaft werden Bezüge zwischen den Ereignissen deutlich. Die Vergrößerungen zeigen aber auch deutlich die Spuren und Verletzungen, die sich bei den Videoaufnahmen in die Oberflächen der Würfel eingeschrieben haben, als Schäfer sie immer wieder neu aufeinanderschichtete und der Wind oder die Schwerkraft sie ineinander stürzen ließ.
Michael Schäfer (*1964) hat in Dortmund und Leipzig Fotografie studiert. Er lebt und arbeitet in Berlin. Seit 2006 sind Presse- und Medienbilder der Ausgangspunkt für seine künstlerischen Arbeiten.
Parallel zu Michael Schäfers Ausstellung in der Galerie werden Zeichnungen von Irene Bisang gezeigt.