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West-Berlin der 60er Jahre
Exhibition: 15 Jun – 30 Aug 2024
Mon 15 Jul
Johanna Breede PHOTOKUNST
Fasanenstr. 69
10719 Berlin
+49 (0)30-88913590
photokunst@breede.de
www.johanna-breede.com
Tue-Fri 11-17, Sat 11-14
Max Jacoby
"West-Berlin der 60er Jahre"
Ausstellung: 15. Juni bis 30. August 2024
Eröffnung: Samstag, 15. Juni, 11 bis 15 Uhr
Grenzen sind Linien. Als Striche ziehen sie sich über Landkarten, als Mauern queren sie Dörfer und Städte. Der Photograph Max Jacoby hat eine solche Grenze gezeigt. Immer wieder. Mal zog sie sich als zugemauerte Hausfassade über nahezu den gesamten Bildraum seiner zu jener Zeit ausschließlich schwarzweißen Photographien, dann wieder erschien sie als unpassierbare Betonwand – als dunkle Körnung, die von links unten nach rechts oben über nahezu das gesamte fotografische Tableau hinwegging.
Die Berliner Mauer, jener empörende Riss in der Welt, der vom 13. August 1961 bis zum 9. November 1989 weit über die Stadt hinaus nahezu den gesamten Globus in zwei Hälften zerteilte, sie erschien immer wieder als stiller, oftmals vermutlich ungebetener Gast im Kamerasucher des 1919 in Koblenz geborenen Photographen. Irgendwie war sie halt da – wie ein großer Störfaktor oder ein sturer Zeuge für den Irrsinn der Welt. Besonders in den 1960 Jahren schien sie in ihrer urbanen Unverfrorenheit unübersehbar – diese Wand, an der sich nahezu die gesamte Stadt den Kopf einrannte. Da waren die Barrikaden zwischen Reichstag und Brandenburger Tor, da waren die zugemauerten Fenster an der Bernauer Straße. Eine lange Linie; ein Zickzack zwischen Pankow im Norden und der Waltersdorfer Chaussee ganz im Süden der einstigen Teilstadt.
Später hatte man sich an den Spalt, der die Frontstadt des Kalten Krieges durchzogen hatte, irgendwie gewöhnt. Man hatte ihn ignoriert, passiert, zuweilen auch schlicht und ergreifend exsekriert. Das Grenzland zwischen Todesstreifen und Hinterlandmauer, es hatte zumindest die Stadt westlich von Checkpoint Charly und Bornholmer Brücke in eine Art kulturelles Niemandsland verwandelt. In West-Berlin nämlich galten andere Regeln. Keine Sperrstunde, keine Wehrpflicht, und dazu eine Musik- und Subkultur, die wie Unkraut in den Rissen und Fugen entlang der grauen Betonwand sprießte.
Von all diesen Dingen zeugen noch heute die nachgelassenen Aufnahmen, die Max Jacoby besonders in den 1960er Jahren in den drei Westsektoren der Stadt einfangen konnte. Für den jüdischen Photographen, der erstmals 1937 nach Berlin gekommen war – für ihn damals zunächst nur Durchgangsstation auf seiner späteren Flucht nach Argentinien – war die gemauerte Grenze in jenen Jahren mehr als eine flächige Linie. Seine Bilder von Jazz-Konzerten, seine Porträts von namhaften Schriftstellern und Bildenden Künstlern, ganz besonders aber seine journalistischen Aufnahmen vom legendären Berlin-Besuch John F. Kennedys (1963) oder Queen Elisabeth II. (1965), zeugen noch heute davon, wie sehr die einstige Existenz im deutsch-deutschen Grenzbereich von unentwegter Ausdehnung und Überschreitung lebte.
Fast ist es, als hätte sich Jacobys damalige Photographie eine Sentenz des deutsch.-amerikanischen Religionsphilosophen Paul Tillich zu eigen gemacht: Die Existenz auf der Grenze, so hatte der von den Nazis einst ebenfalls aus dem Land getriebene Denker und Grenzgänger geschrieben, sei voller Spannung und Bewegung: "Sie ist in Wirklichkeit kein Stehen, sondern ein Überschreiten, ein Zurückkehren, ein Wiederzurückkehren, ein Wiederüberschreiten, ein Hin und Her, dessen Ziel es ist, ein Drittes, jenseits der begrenzten Gebiete zu schaffen."
Und diese Grenze, sie ist auch für Jacoby weit mehr als eine zweidimensionale Linie. Wie bei so vielen Künstlern und Photographen seiner Zeit – man denke etwa nur an den ein Jahr jüngeren Helmut Newton – hatten in ihm Emigration und Rückkehr, Vorkrieg und Nachkrieg, Ost und West innere wie äußere Horizonte verschoben. Seine Photographien aus Berlin – eine Stadt, in die er im August 1957 nach zwanzig Jahren Exil in Buenos Aires zurückgekehrt war – konservieren an vielen Stellen nicht nur die ästhetische Ausdrucksweise der 1920er Jahre sowie die deutsche Exilphotographie in Argentinien, sie zeugen auch vom großen Sprung seiner Epoche. Berlin in den 1960ern, das ist eine Stadt zwischen Cool-Jazz und Beat, zwischen Filmkomödie und Film noir, zwischen alten Trümmern und neuem Aufbruch.
Gemeinsam kuratiert von Johanna Breede und dem am 14. April im Alter von 83 Jahren verstorbenen Dokumentarfilmer, Photographen und Galeristen Norbert Bunge zeigt die Ausstellung in mehr als 40 Einzelarbeiten noch einmal Jacobys eigenwilligen Blick auf eine pulsierenden Zeit, eingeklemmt zwischen Mauern und Blockaden. Auf seinen Bildern verwandeln die sich Stück für Stück in schwarze, weiße und graue Linien. Eine Grenzverschiebung – weit hinaus auf ein Territorium aus Fantasie und Erinnerung.
Ralf Hanselle