Miguel Ferraz »
Paris - Hôtel
Exhibition: 17 Jun – 5 Aug 2011
Thu 16 Jun 18:00
galerie:pixelgrain
Rosenstr. 16/17
10178 Berlin
+49 (0)30-3087870
mail@pixelgrain.com
www.pixelgrain.com
Mon-Fri 10-19, Sun 14-19
Miguel Ferraz
„Paris - Hôtel"
Paris ist für den Franzosen der Nabel der Welt: die Wiege der Revolution und Vernunft, Stadt der Verliebten und Vergnügungssüchtigen. Paris ist ein Mythos, dem sich kaum ein Künstler entziehen kann. Seit der Erfindung der Fotografie, die ja schließlich in Frankreich stattgefunden hat, ist Paris ein beliebtes Motiv. Germaine Krull, Robert Doisneau, Izis, sie alle machten sich die Stadt zum Thema. Doch es war Brassaï, der mit „Paris du Nuit“ zeigte, dass sich das wahre Wesen der Stadt erst an der Peripherie, in den dunklen Gassen und Spelunken, entdecken lässt.
Auch Miguel Ferraz zeigt in „Paris - Hôtel“ ein Paris abseits der touristisch-romantischen Pfade. Inspiriert hat ihn dabei im Wesentlichen der Gedichtband „Ich brauche Wahrheit und Aspirin“ von Fernando Pessoa. Dessen fiebrig surreale Gedankenwelt weist starke Parallelen zur poetischen Arbeitsweise des Fotografen auf.
„Sprich nicht laut, denn dies hier ist Leben –
Leben und das Bewusstsein davon“ heißt es da.
Aus früheren Besuchen weiß Ferraz, dass Paris ein Ort ist, an dem man sich gut verlieren kann und jeder zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Der Wunsch für eine Weile abzutauchen, führt ihn schließlich in die so genannten Hotel Particuliers. Diese Unterkünfte werden von ihren Gästen über Monate, manchmal Jahre, bezogen. Ferraz nimmt sie als Orte der Verlorenen und „Gebrochenen“ wahr; an denen Menschen leben, die Verschwinden möchten, aber nicht wissen wohin. Ihre Bewohner befinden sich häufig in einer gravierenden Lebenskrise und meiden jeglichen Kontakt zu Mitmenschen, reagieren sogar aggressiv auf Annäherungsversuche. Desolation, die zu absoluter und gewünschter Isolation und Anonymität zur Folge hat.
Ferraz entscheidet sich seinen Blick auf Paris zu erweitern und auf die Straße zu gehen, um das Leben abseits der beengten Hotelsituationen festzuhalten. Als stiller Beobachter führt er vor Augen, dass sich selbst in den Alltagsszenen auf der Straße die Komplexität des Lebens offenbart.
Doch auch die Bilder, die im Außenraum entstehen, spiegeln die gedrückte Stimmung der Hotels wider. Abermals offenbart sich hier die Sehnsucht von der Stadt absorbiert zu werden, schlicht unsichtbar zu werden, um den täglichen Anforderungen des Lebens entfliehen zu können.
Auffällig ist, dass kaum einer der Porträtierten die Kamera wahrnimmt, die auf ihn gerichtet ist. Jeder der Fotografierten ist Teil einer Außenwelt, die auf sich selbst zurückgeworfen wird, Teil einer täglichen Selbstinszenierung vor der urbanen Kulisse der Anonymität: Die Arbeitslosen, die bereits am Tage trinken; die Clochards, die am Straßenrand neben ihren wenigen gepackten Habseligkeiten hocken; die Berufstätigen, die aus der Metro hetzen und scheinbar daran scheitern, an allen Orten gleichzeitig sein zu müssen und sich doch im Nirgendwo verlieren.
Diese indirekten Porträts funktionieren jedoch erst als Serie durch die Ergänzung der Innen- und Außenaufnahmen, welche die spröde, teils marode, Architektur von Paris zeigen: graue Hochhäuser, kleine Gassen, gesprungene Kachelfußböden. Auch diese Bilder zeigen auf den ersten Blick, dass der Fotograf nicht viel übrig hat für Heiles und Ganzes. Ihn interessiert prinzipiell das Gebrochene. Und gerade das macht seine Fotografie so spannend.
Jasmin Seck