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Filmplakat MATERIAL
© Thomas Heise

Thomas Heise »

Artist Talk: – 17 Apr 2012

Tue 17 Apr 18:30

Sprengel Museum Hannover

Kurt-Schwitters-Platz
30169 Hannover

+49 (0)511-16843875


www.sprengel-museum.de

Tue 10-20, Wed-Sun 10-18

Thomas Heise *1955, lebt in Berlin
MATERIAL 2009

Dokumentarfilm, 166 Min., HDCAM/Digital Betacam
sw/Farbe, Projektion von DVD

bis 6. Mai 2012



Wir laden Sie herzlich ein zum Künstlergespräch mit dem Regisseur Thomas Heise:

Dienstag, 17.4.2012, 18.30 Uhr
›Die Geschichte ist ein Haufen.‹

Der Regisseur Thomas Heise im Gespräch mit Inka Schube
Eintritt zzgl. 1 Euro


Wie lässt sich Geschichte erzählen, was bleibt von ihr, an Bildern, Tönen, Erinnerungen, Überlegungen, Fragen? Thomas Heise beschäftigt sich in MATERIAL mit jenem historischen Moment, in dem die Geschichte der sogenannten Systemkonfrontation des 20. Jahrhunderts – der Auseinandersetzung zwischen Sozialismus und Kapitalismus – in dem von der Mauer umgebenen Teil Deutschlands im Herbst 1989 in einer Art Nadelöhr kulminiert. Die Politisierung hat alle Schichten und Gruppen, hat jeden Einzelnen erfasst. Die bis eben noch bis zum Bersten gespannte dünne Haut über den Konflikten und Widersprüchen reißt. Der Staat DDR befindet sich, nach einem langen Nachkrieg, in der Agonie. Wie weiter? 2009 montiert Thomas Heise Szenen aneinander, die zwischen 1988 und 2008 entstanden – Fragmente von aus den verschiedensten Gründen abgebrochenen Projekten, ‚Reste’ früherer Arbeiten und filmische Tagebuchnotizen.

Kinder, die an Orten spielen, die immer noch vom Krieg gezeichnet scheinen. – Ein Mann, der, angesichts der Räumung besetzter Häuser durch die Staatsmacht, vor einen Wasserwerfer sinkt und vergeblich „Hört doch auf!“ ruft. – Strafgefangenen, die ihre Geschichten erzählen und fordern, entlassen zu werden, weil sie an den Umwälzungen teilhaben wollen. – Ihre völlig überforderten Wärter. – Partei- und Regierungsvertreter, die, unter dem Druck der Ereignisse, auf der Straße das Gespräch mit der aufgebrachten Basis suchen. – Die höchst gespannte Nervosität, die am 4. November 1989 auf dem Alexanderplatz während der ersten großen und freien Demonstration in der 50-jährigen Geschichte der DDR herrscht. – Ein Volksvertreter, der über die Gründe seiner Zusammenarbeit mit der Staatsicherheit spricht. – Der Autor und Regisseur Heiner Müller, der mit Schauspielern bei Theaterproben die Betonung eines einzigen Wortes erarbeitend: „Will er nicht aufstehen vor seinem König?“ Heiner Müller darauf: „Seinem KÖ-NIG. Noch mal.“ Nicht die Stimme demütig erheben, vielmehr tief und mit abfallendem Auslaut. – Der Schauspieler und Regisseur Fritz Marquardt, der anlässlich der Inszenierung des Heiner Müller-Stückes Germania Tod in Berlin am Berliner Ensemble um unbedingte, sich jeder Pragmatik verweigernde künstlerische Freiheit streitet. – … – Tumulten zwischen autonomen Linken und rechten Randalierern und die Ohnmacht der ‚bürgerlichen Mitte’, die sich schließlich gegen das Drehteam und seine Zeugenschaft richtet.
MATERIAL versammelt, in radikaler Nähe zu den Ereignissen, Gegenbilder zu den landläufigen medialen Aufbereitungen jener Monate der Revolution zu Unterhaltungs- und Zerstreuungszwecken. Thomas Heise montiert Bilder der Macht, der Bemächtigung und der Ohmacht zu einer Art visuellem Bewusstseinsstrom. Nichts wird – über die Mitteilung des filmischen Materials und der Art ihrer Montage hinaus – erklärt oder gedeutet. In dieser fragmentarischen Offenheit rekonstruiert sich noch einmal der utopische Denkraum, die Frage nach dem ‚Wie weiter?’.

Thomas Heise, Sohn des Philosophen Wolfgang Heise, war zwischen 1975 und 1978 Regieassistent im DEFA Studio für Spielfilme. Von 1978 bis 1982 studierte er an der Hochschule für Film und Fernsehen Potsdam Babelsberg. Das Studium wurde, im Ergebnis operativer Bearbeitung durch das Ministerium für Staatssicherheit (1976-1988) abgebrochen. Er war von 1990 bis 1997 Mitglied des Berliner Ensembles und ist seit 2007 Professor für Film an der Staatlichen Hochschule für Gestaltung Karlsruhe.
Sein jüngster Dokumentarfilm DIE LAGE (2012), entstanden am Rande der Ereignisse um den Papstbesuch in Deutschland 2011, lief in diesem Jahr im Programm der Internationalen Filmfestspiele Berlin 2012.
(Inka Schube)


Folgende weitere Filme von Thomas Heise sind zu den Öffnungszeiten der Bibliothek des Sprengel Museum Hannover am Medienarbeitsplatz einsehbar:

Vaterland (D 2002, 98 min) Straguth, Sachsen Anhalt: Fliegerhorst, Arbeitslager der Luftwaffe, der Organisation Todt, dann der Sowjetarmee, heute der NATO. Die wechselnden, unsicheren Zeiten haben sich in die Bewohner eingeschrieben. Eine Expedition in die Sedimentschichten der deutschen Geschichte.

Im Glück (Neger) (D 2006, 87 min) 1990 inszenierte Thomas Heise mit 12 bis 16- Jährigen Heiner Müllers Anatomie Titus Fall of Rome. Bestandsaufnahme eines Erwachsenwerdens in Berlin zwischen 1999 und 2005. "Man kriegt eine Freundin, stellt ein Kind her und dann landet man auf dem Sozialamt. Eine Kurzfassung, wie eine Moritat. Was willst du da sagen? So ist das Leben." (T.H.)

Der Ausländer (DDR/D 1987/2004, 37 min) Heiner Müller, der Ausländer, vergebliche Verbindung, der Lohndrücker, Proben im Deutschen Theater, 59. Geburtstag, der 17. Juni. Die Zukunft.