Paula Muhr »
Fotografie und Video
Exhibition: 7 Jul – 25 Aug 2012
Fri 6 Jul 19:30
Double Flowers – Paula Muhr
Behutsam schmiegen sich Hase, Hummer und Igel um Hals, Dekollete und Nacken, rot leuchtende Hagebutten sammeln sich an im weiblichen Schoß, am nackten Rücken einer Frau prangen samtige Weidenblüten. Organische und tierische Materialien kontrastieren auf schwarz-weiß reproduzierten Fotografien von Frauenbildern, die medizinischen Atlanten vom Ende des 19. Jahrhunderts entnommen sind. Muhrs Neuinterpretationen der unter „Wahnsinn“ und „Hysterie“ kategorisierten Frauen verdeutlichen die Verletzlichkeit der Porträtierten und muten surreal an. Unklar ist, ob die künstlerischen Interventionen heilend wirken oder den pathologischen Zustand potenzieren. Erstmals präsentiert die Petra Rietz Salon Galerie die fotografische Serie „Double Flowers“ in Berlin.
Paula Muhr beschäftigt sich mit Fotografie als Instrument der Wirklichkeitserzeugung und erforscht soziokulturelle Mechanismen der Konstruktion von Weiblichkeit, Männlichkeit, Sexualität, Begehren und Normalität. In den Installationen aus inszenierter Fotografie, Found Footage und filmischen Montagen aus Bildern, Texten und Sounds kommen analytische Forschungsmethoden zum Einsatz. Zentral ist die historische und zeitgenössische Rolle der Fotografie bei der Erzeugung gesellschaftlicher Erscheinungs- und Verhaltensnormen. Identität als Thema steht dabei immer im Mittelpunkt.
In Double Flowers hinterfragt Muhr wissenschaftliche Praktiken in der Konstruktion von Hysterie als “weiblichem Wahnsinn”, die sich in Filmen, Fotografien und Schriften des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts widerspiegeln. Aufgenommen wurden die Originalfotografien von Jean-Martin Charcot während seiner neurologischen Tätigkeit in der Nervenanstalt Hôpital de la Salpêtrière in Paris zwecks einer systematischen Katalogisierung von Nervenerkrankungen. Gerade psychische Störungen wie Wahnsinn, Hysterie oder Depression sind heute jenseits geschlechtlicher Disposition aktueller denn je und können auch als Ausdruck gesellschaftlicher Anforderungen und Strukturen gelten.
Für die 2010/12 entstandene Fotoserie „Double Flowers“ und das dazugehörende Video kombiniert Muhr in der Manier niederländischer Stilllebenmalerei bewusst diffus abgezogene Fotografien von psychisch erkrankten Frauen, in deren Physiognomie man vermeintlich pathologische Anzeichen zu erkennen glaubte, mit organischen Materialien. Geheimnisvoll fügen sich die einzelnen symbolträchtigen Elemente in die Porträts ein und lösen diese aus dem Umfeld der medizinischen Kategorisierung heraus. Die Fotografien erfahren so eine künstlerische Aufwertung hin zu individuellen Porträts weiblicher Persönlichkeiten. In der Petra Rietz Salon Galerie sind die bereits auf der Art Karlsruhe präsentierten Fotografien vom 7. Juli bis zum 25. August zu sehen.