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Im Schatten der Diktaturen
Edith Tudor-Hart
Demonstration von Arbeitslosen, Wien 1932
Neuer Silbergelatine-Abzug, 30,3 × 30 cm
© Scottish National Portrait Gallery / Archive presented by Wolfgang Suschitzky 2004

Edith Tudor Hart »

Im Schatten der Diktaturen

Exhibition: 26 Sep 2013 – 12 Jan 2014

Wed 25 Sep 18:30

Wien Museum

Karlsplatz
1040 Wien

01-5058747


www.wienmuseum.at

Tue-Sun 10-18

Im Schatten der Diktaturen
Edith Tudor-Hart
Riesenrad im Prater, Wien, 1931
Neuer Silbergelatine-Abzug, 29,3 × 29,2 cm
© Scottish National Portrait Gallery / Archive presented by Wolfgang Suschitzky 2004

Edith Tudor-Hart
IM SCHATTEN DER DIKTATUREN


Ausstellung: 26. September 2013 bis 12. Januar 2014
Eröffnung: 25. September 2013, 18.30 Uhr

Eine Ausstellung in Kooperation mit den National Galleries of Scotland

Nach Barbara Pflaum, Elfriede Mejchar und Trude Fleischmann widmet das Wien Museum abermals einer großen österreichischen Fotografin eine Personale: Edith Tudor-Hart (1908–1973), die in der Fotogeschichte auch unter ihrem Mädchennamen Edith Suschitzky bekannt ist. Sie zählt zur Riege jener politisch engagierten Fotografinnen und Fotografen, die ab den 1920er-Jahren mit sozialkritischem Impetus den politischen Entwicklungen begegneten – sowohl in Österreich als auch im englischen Exil, wo sie zu einer bedeutenden Vertreterin der Arbeiterfotografe-Bewegung wurde. Die Ausstellung, die zuvor in Edinburgh zu sehen war, gibt erstmals einen Überblick über das Werk dieser ebenso faszinierenden wie bedeutenden Künstlerpersönlichkeit. Sie entstand als Kooperation zwischen den National Galleries of Scotland und dem Wien Museum und wurde von Duncan Forbes, dem langjährigen Hauptkustos für Fotografie an den National Galleries of Scotland und neuem Leiter des Fotomuseums Winterthur, kuratiert.

Edith Tudor-Hart wurde 1908 als Edith Suschitzky in Wien geboren und wuchs in einem sozialdemokratischen Elternhaus auf, ihr Vater betrieb eine Arbeiterbuchhandlung in Favoriten und einen revolutionären Verlag. Schon in jungen Jahren knüpfte sie Kontakte zur KPÖ und zur Kommunistischen Internationale, von beiden wurde sie beauftragt – mit legaler Parteiarbeit ebenso wie mit Geheimdienstaktivitäten. Früh engagierte sich Tudor-Hart im Bereich der Kinderpädagogik, absolvierte eine Montessoriausbildung und verkehrte in jenen Kreisen, die eine radikale, antiautoritäre Reform von Schule und Erziehung vorantrieben. Erst ein Studienaufenthalt am Bauhaus in Dessau (1928-1930) dürfte sie zur Fotografie gebracht haben, auch wenn Tudor-Hart in den Archiven bloß als Teilnehmerin des berühmten Vorkurses – und nicht als Studentin der Fotografieabteilung – aufscheint. Ihre ersten Aufnahmen entstanden um 1930 und „zeugen von einer technisch versierten Fotografin, die Themen wie die Entbehrungen der Arbeiterklasse und die reformorientierte Kultur der österreichischen Sozialdemokratie ebenso erkundete wie die Bedrohung durch militaristische und faschistische Kräfte“ (so der Fotohistoriker Anton Holzer). Zugleich begann sie eine Karriere als Fotoreporterin für Illustrierte.

Es war die Zeit, in der die Fotografie in den Massenmedien dank verbesserter Technologien enorm an Bedeutung gewonnen hatte. Von Anfang an begriff Tudor-Hart die Kamera als politische Waffe, mit deren Hilfe man Missstände dokumentieren konnte, an den formalen Experimenten der Avantgarde war sie nur wenig interessiert. Die Fotografie hatte aufgehört, „ein Instrument für das Aufzeichnen von Ereignissen zu sein und wurde stattdessen ein Mittel, um Ereignisse herbeizuführen und zu beeinflussen. Sie wurde eine lebendige Kunst, die die Menschen einbezog.“ (Edith Tudor-Hart) Sie veröffentlichte erste Fotoserien in den Zeitschriften Der Kuckuck, Arbeiter-Illustrierte-Zeitung und Die Bühne, unter anderem eine Reportage aus dem deprimierenden Londoner East-End oder eine Serie über den Alltag im Wiener Prater. Dass sie als Kommunistin für ein sozialdemokratisches Medium wie den Kuckuck arbeitete, hatte damit zu tun, dass die KPÖ medial (wie politisch) in Österreich kaum eine Rolle spielte – hier musste sich die junge Fotografin der kommerziellen Realität ihres Berufes anpassen. Allerdings war sie auch für die sowjetische Nachrichtenagentur TASS tätig, zudem setzte sie ihre Geheimdienstaktivitäten fort. Von einem Agentenkollegen wurde sie als „bescheiden, tüchtig und mutig“ beschrieben, sie sei bereit, „alles für die Sache der Sowjets zu tun“. Dies wurde Edith Tudor-Hart schließlich zum Verhängnis: Als die österreichische Regierung 1933 gegen Nazis und Kommunisten vorging, wurde sie kurzerhand verhaftet. Noch im gleichen Jahr heiratete sie den englischen Arzt Alexander Tudor-Hart, wodurch ihr 1934 die Flucht nach Großbritannien gelang. „Wenn wir die fotografische Arbeit Suschitzkys während ihrer Wiener Jahre überblicken, wird deutlich, dass sie bereits in ihrer frühen Phase ein umfangreiches und eigenständiges Werk geschaffen hat“, so Anton Holzer.

Im Schatten der Diktaturen
Edith Tudor-Hart
»No Home, No Dole« [»Kein Zuhause, keine Stütze«], London, um 1931
Neuer Silbergelatine-Abzug, 33,4 × 27,5 cm
© Scottish National Portrait Gallery / Archive presented by Wolfgang Suschitzky 2004

Im Exil gewannen Edith Tudor-Harts Fotografien weiter an sozialkritischer Schärfe. So begleitete sie ihren Mann nach Südwales, wo er im Kohlerevier als Arzt praktizierte. Die Wirtschaftskrise hatte die Schwerindustrie und den Bergbau im Norden Englands besonders stark in Mitleidenschaft gezogen, in vielen Kleinstädten und Dörfern waren neun von zehn Männern arbeitslos. Auch die Fotos aus der Bergbau- und Schiffsbauregion Tyneside erzählen von erdrückenden wirtschaftlichen Verhältnissen und sozialem Niedergang. Mit ihren Bildern hob sich Tudor-Hart deutlich vom Mainstream der britischen Fotografie ab, die zu dieser Zeit von einer bürgerlichen, süßlich-gefühlsseligen Ästhetik geprägt war. Ihre Aufnahmen bestechen durch die Qualität des Dialogs mit den Porträtierten, der gesellschaftliche Kontext ist stets sicht- und spürbar. „Die von ihr fotografierten Frauen, Kinder und Arbeiter wirken weniger verdinglicht und zumindest teilweise stärker in die Lage versetzt, sich selbst zu repräsentieren“, so Duncan Forbes, der Kurator der Ausstellung. Während der leichten wirtschaftlichen Erholungsphase Mitte der 1930er Jahre gelang es Tudor-Hart, sich ein Fotostudio in London aufzubauen: „Edith Tudor-Hart – Moderne Fotografie“ stand auf ihrem Briefkopf. Sie spezialisierte sich auf Porträtfotografie und konnte auch Werbeaufträge an Land ziehen, u. a. für den Spielzeughersteller Abbatt Toys. Außerdem belieferte sie neue britische Illustrierte, darunter das Magazin Lilliput und das Massenblatt Picture Post sowie Regierungsstellen wie das britische Bildungsministerium. Für die traditionellen Medien der Fleet Street zu arbeiten, kam für sie allerdings nicht infrage. Neben der ebenso konsequenten wie nuancierten Arbeiterfotografie konzentrierte sich Tudor-Hart vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg auf die Arbeit mit Kindern, wobei sie auf ein großes Netzwerk an Kontakten zurückgreifen konnte. Dazu zählten unter anderem der österreichische Kinderarzt und Heilpädagoge Karl König sowie Anna Freud und Donald Winnicott, zwei führende Protagonisten der Kinder-Psychoanalyse. Kinderfürsorge, Gesundheit und Bildung beschäftigten sie, Agenturen wie die British Medical Association, Mencap und der National Baby Welfare Council wurden Auftraggeber. Im Gegensatz zur damals üblichen statischen Porträtfotografie im Studio zeigte Tudor-Hart Familien und im Speziellen Kinder natürlich und lebendig.

Nach dem Zweiten Weltkrieg und mit dem Beginn des Kalten Krieges verschärfte sich die persönliche Situation Tudor-Harts, die nach wie vor als sowjetische Agentin niederen Ranges tätig war. 1951, kurz nachdem der sowjetische Spion Kim Philby erstmalig verhört worden war, zerstörte sie aus Angst vor Verfolgung die meisten ihrer Fotos sowie viele Negative. „Ihr Leben als Partisanin der sowjetischen Sache endete für sie als besiegte und zermürbte Frau“, so Duncan Forbes. Ab Ende der 50er Jahre veröffentlichte sie keine Fotos mehr, vermutlich auf Verlangen der britischen Geheimdienste. Trotz zahlreicher Verhöre wurde sie jedoch nie verhaftet. Ihre letzten Lebensjahre bis zu ihrem Tod 1973 verbrachte Edith Tudor-Hart als Antiquitätenhändlerin in Brighton.

Dass ihr fotografisches Werk wieder entdeckt wurde, ist dem Bruder der Fotografin, dem Fotografen und Kameramann Wolfgang Suschitzky, zu verdanken. Er bewahrte etliche Negative vor der Vernichtung und übergab 2004 den Scottish National Galleries den fotografischen Nachlass seiner Schwester. Ausstellung und Katalog machen nun erstmals einer breiten Öffentlichkeit das außerordentliche Werk Edith Tudor-Harts bekannt. Die Schau wurde im Frühling 2013 in den National Galleries of Scotland in Edinburgh gezeigt und macht nach dem Wien Museum auch in Berlin Station. Sie vermittelt erstmals einen Werküberblick über die Wiener wie auch die englischen Jahre Tudor-Harts, viele Fotografien sind zum ersten Mal zu sehen. Zudem erscheint anlässlich der Ausstellung die erste umfassende Publikation zu dieser großen österreichischen Künstlerin.

Im Schatten der Diktaturen
Edith Tudor-Hart
Gee Street, Finsbury, London, um 1936
Neuer Silbergelatine-Abzug, 34,1 × 29 cm
© Scottish National Portrait Gallery / Archive presented by Wolfgang Suschitzky 2004