Loredana Nemes »
Loredana Nemes I Winter / Hoerbelt
Exhibition: 7 Sep – 15 Nov 2013
Fri 6 Sep 19:30
Galerie Anita Beckers
Braubachstr. 9
60311 Frankfurt (Main)
+49 (0)69-92101972
info@galerie-beckers.de
www.galerie-beckers.de
Tue-Fri 11-18, Sat 12-17
Loredana Nemes – Winter/ Hoerbelt
Ausstellung: 7. September bis 15. November 2013
Eröffnung: 6. September, 19:30 Uhr
Künstlergespräch zwischen Peter Weiermair und Loredana Nemes: 7. September, 16 Uhr
Warum Loredana Nemes' Schwarz-Weiß-Fotografien und Winter/ Hoerbelt`s Skulpturen aus industriell gefertigten Elementen unter einem Dach ausstellen? Ist es ausreichend, dass ihre Gemeinsamkeiten ebenso überraschend sind wie ihre Unterschiede und zusammen einen interessanten Ausstellungsrahmen bieten?
Die Fotografin Loredana Nemes bereist die Welt und bringt ihre Erfahrungen von der sie umgebenden Realität in ihre künstlerische Praxis ein. In ihrer neusten Serie Blütezeit macht sie vor Ort auf den Straßen von Ludwigsburg Porträtaufnahmen von Jugendlichen. Blütezeit dokumentiert deren Kraft und Zärtlichkeit, ihre Sprache und Gestik und stellt eine Verbindung her von Blütezeit im Menschen und in der Natur. Winter/ Hoerbelt entdecken ebenfalls im Alltäglichen eine tiefgründige Zeichensprache. Sie konstruieren ihre räumlichen Skulpturen, begehbaren Installationen und Pavillions, indem sie leere Getränkekisten zusammenfügen, die gewöhnlich zum Transport von Milch- oder Mineralwasserflaschen dienen.
Swingerclub ist eine Serie von Schwingobjekten, die in verschiedenen Kontexten von Yokohama bis zum ZKM in Karlsruhe, in New York, Miami und an anderen Orten installiert wurden. Es ist symbolisch für Winter/ Hoerbelt ́s Praxis, dass diese Objekte immer ortsspezifisch sind, sie sich mit dem Aspekt der Funktionalität beschäftigen und meist ein starkes spielerisches Element beinhalten.
Die Künstler erforschen in dieser Ausstellung – wenn auch auf ganz unterschiedliche Weise – die Grenzen von Kunst und sozialer Umgebung. Sei es durch Thematik wie in Loredana ́s Serie Beyond oder wie bei Winter/ Hoerbelt durch die Neuerfindung architektonischer Topoi, so untersuchen alle drei Künstler die Struktur unseres Kulturkodex. Loredana Nemes folgt dabei einem eher psychologischen Ansatz, während Winter/ Hoerbelt sich meistens mit phänomenologischen Themen beschäftigen.
In Beyond sprach Loredana Nemes Männer in türkischen, orientalischen und arabischen Cafés in Kreuzberg, Neukölln und im Wedding an. Da sie als Frau keinen Zugang zu diesen Treffpunkten hat, weckten diese Orte schon von jeher ihre Neugier. Sie fing sowohl das architektonische Ambiente als auch die mysteriösen Gesichter der Kaffeehausbesucher ein und produzierte eine Serie ausdrucksvoller fotographischer Nahaufnahmen von Männerantlitzen. Die Bilder zeigen auch die für diese Orte typischen genähten Vorhänge oder Mattglas und sprechen Bände von Identität, von kulturellen Vorurteilen und unterschwelligen sozialen Konflikten.
Winter/ Hoerbelt teilen Nemes' Vorliebe für Muster und Strukturen und haben verschiedene Labyrinth-ähnliche Installationen aus Bonnell Springfedern gefertigt, die in den meisten Matratzen verwendet werden. Die spielerischen Kompositionen zwingen den Betrachter, seinen eigenen Pfad im Raum zu navigieren. Winter/ Hoerbelt kreieren mit ihren Sitzen, Schaukeln, Tischen, Teppichen, Räumen und Pavillions multiple Formen partizipativer Kunstwerke. Dies deutet nicht nur auf eine relationale Erfahrung von Kunst hin, sondern auch auf eine neue Chiffrierung von Kunst. Es geht nicht um Interaktion per se, sondern um eine Positionierung außerhalb von Kunst. Neben ihrer Teilnahme an Biennalen wurden ihre Arbeiten auch an unkonventionellen Orten außerhalb des Kunstbetriebs gezeigt wie beispielsweise am Ufer des Mahmoudyia Kanal in Alexandria oder auf dem Campus der Universität Hanoi. Als Atelierarbeit testen Winter/ Hoerbelt neue Materialien (Sie sind die Erfinder eines organischen Formverfahrens namens hoewi 301) oder produzieren neue Materialkombinationen. Dabei entwickeln sie neue architektonische Strukturen, die unsere traditionelle Vorstellung von Raum grundlegend redefinieren.
In About Love (seit 2006), einer Serie, die durch einen traumatisierenden biografischen Vorfall inspiriert wurde, bat Loredana Nemes Männer aller Herren Länder sich mit ihr selbst in einem Brautkleid fotografieren zu lassen und ihr ihre Liebesgeschichten anzuvertrauen. Diese Porträts umfassen den transkribierten Text, das Foto und die Originalaufnahmen der Aussagen der Männer. Dieses zutiefst intime Wesen von About Love steht in starkem Widerspruch zu Winter/ Hoerbelts massenproduzierten Industrieobjekten. Dennoch bewirken alle Arbeiten eine Reflexion über Orientierungsverlust, selbst in Winter/ Hoerbelt ́s Arbeit ist diese Besinnung de facto einer körperhaften Natur.
Wilém Flusser fasst den Zweck dieser Ausstellung auf hervorragende Weise zusammen: “Seit wir gelernt haben, an Stelle von historisch phänomenologisch zu denken, wurde Erfahrung zu etwas, das uns berührt und betrifft. Es ist eine Leidenschaft und ein Leiden. (...) Einige wenige von uns sind bereit, sich der Zukunft zu öffnen und Erfahrungen zu sammeln. Die Beweglichkeit in dieser Entscheidung besteht in unserer Bereitschaft, uns den Erfahrungen von allen möglichen Blickwinkeln zu öffnen und sie von diesen Positionen zu prüfen. Und die Mobilität des Denkens bedeutet, den Körper oder Gegenstand hin und her in Relation zu jeder Erfahrung zu bewegen.” Vgl. Flusser, Wilém (2003), S. 69-70.
Die emotionale Reaktion des Betrachters zu diesen Arbeiten und die unbehagliche Ausstellungssituation, die sie hervorrufen, erinnert uns daran, dass sowohl Loredana Nemes als auch Winter/ Hoerbelt sich von den uns umgebenden Realitäten lösen, um Arbeiten mit einem starken Bezugsaspekt zu schaffen.
Beide künstlerische Positionen eint eine hohe Sinnlichkeit in ihrem Tun. Dieses Prinzip kommt nicht nur in der Schaffensweise ihrer Arbeiten zum Ausdruck, sondern wird besonders deutlich in der Art wie die Künstler ihre Werke verstanden wissen wollen.
Loredana Nemes wurde 1972 in Sibiu, Rumänien, geboren und lebt und arbeitet in Berlin. Sie studierte deutsche Philologie und Mathematik an der RWTH Aachen. 2001 begann sie ihre Karriere als freie Fotografin in Berlin. Seit 2006 unterrichtet sie Fotografie an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee und der Zeppelin Universität Friedrichshafen. Arbeiten in öffentlichen Sammlungen (Auswahl) Berlinische Galerie, DZ Bank Kunstsammlung Frankfurt, Stadtmuseum Berlin, Richard Serra New York. Museumsausstellungen: Stadtmuseum Münster, Museum für Kommunikation Berlin, Museum Ludwigsburg u.a. Loredana Nemes erhielt kürzlich das Grenzgänger Stipendium der Robert-Bosch-Stiftung (2013) für ihre Serie Beautiful. Im Oktober 2013 wird dazu ein Katalog bei Hatje Cantz erscheinen.
Die Künstler Wolfgang Winter und Bertholt Hörbelt arbeiten seit 1992 unter dem Namen Winter/ Hoerbelt zusammen, leben und arbeiten in Frankfurt. Sie realisierten zahlreiche standortspezifische Installationen sowohl an namhaften traditionellen Ausstellungsorten als auch an unkonventionellen Standorten. Zur Zeit stehen weltweit Projekte vor ihrer Fertigstellung.
(Ausstellungsauswahl) Hangzhou Festival in China (2011), Columbus Art Foundation in Leipzip (2008), Castleford in England (2006), ZKM Zentrum für Kunst und Medientechnologie in Karlsruhe (2006), Yokohama Triennale (2005), Yorkshire Sculpture Park (2004), Städtische Galerie Bremen (2013), Liverpool Biennale (2002), Venice Biennale (1999), Skulptur.Projekt Münster. Zu ihren Veröffentlichungen zählt u.a. eine Monografie bei Hatje Cantz (2003).