TRANSIT // Hans Pieler & Wolf Lützen
Exhibition: 9 Nov – 16 Nov 2014
Mon 10 Nov 19:00
Vertretung des Landes Niedersachsen beim Bund
In den Ministergärten 10
10117 Berlin
Mon-Fri 10-18
Landesvertretung Niedersachsen
In den Ministergärten 10
10117 Berlin
+49 (0)30-726291603
www.facebook.com/LandesvertretungNiedersachsen/
Mon-Fri 10-18, Sat/Sun 12-16
Hans Pieler & Wolf Lützen
Ein Blick zurück // Bilder der Transitstrecke
Ausstellungsdauer: 9. bis 16. November 2014
Eröffnung: 10. November 2014, 19 Uhr
Zum fünfundzwanzigsten Jahrestag des Mauerfalls schauen die Niedersachsen noch einmal hinter den Eisernen Vorhang. Anfang November 2014 ist in der Landesvertretung eine Fotoserie von Hans Pieler und Wolf Lützen zu sehen, die ihresgleichen sucht: Im Oktober 1984 fuhren die beiden Künstler in einem VW-Bus auf der Transitstrecke von Hamburg nach Berlin und zurück und machten dabei verbotenerweise hunderte von Aufnahmen.Fotografiert wurde vom Beifahrersitz und häufig über den Außenspiegel, dessen Glas durch normales, flaches Spiegelglas ersetzt war.
Die so entstandene Serie von Schwarz-Weiß-Aufnahmen ist ein Reisebericht ganz eigener Art, der einen Blick, gewissermaßen von außen auf die DDR, erlaubt und der heute – dreißig Jahre später – ein wertvolles historisches Dokument ist. Die Ausstellung in der Landesvertretung bietet einen spannenden Kontrast: der "Transit"-Serie wird Pielers Reihe "Zu Hause in Neufünfland" gegenüber gestellt. Diese großformatigen Farbaufnahmen hat er nur wenige Monate nach der Wende in den neuen Bundesländern fotografiert.
In Berlin wird mit der Fotoausstellung an die Vergangenheit Niedersachsens als Bundesland mit dem längsten Abschnitt der deutsch-deutschen Grenze erinnert. Zugleich wird das außergewöhnliche Werk Hans Pielers, der bis zu seinem Tod im Jahr 2012 an der Hochschule für Angewandte Wissenschaft und Kunst in Hildesheim lehrte, mit zwei wichtigen Bildserien präsentiert.
Westberlin glich zwischen 1961 und 1989 einer Insel, eingemauert, die bestehende Infrastruktur durchtrennt. So hatte die Stadt in vielerlei Hinsicht einen Sonderstatus, war politisch und militärisch abhängig von den drei westlichen Besatzungsmächten. Wollte man in dieser Zeit, also vor November 1989, mit dem Auto von Westdeutschland nach Westberlin fahren, musste man die sogenannte Transitstrecke quer durch die sowjetische Besatzungszone wählen, eine Art transitorischer Korridor, den man nach dem Grenzübertritt nicht verlassen durfte. Und Fotografieren war natürlich unterwegs strengstens verboten.
Hans Pieler und sein Begleiter Wolf Lützen ließen sich davon nicht abschrecken; sie fuhren im Oktober 1984 in einem VW-Bus auf der Transitstrecke von Hamburg nach Berlin und zurück – und machten Hunderte von Aufnahmen während der Fahrt vom Beifahrersitz aus, meist Kamerablicke frontal oder seitlich aus dem Autofenster. Dabei hatten sie den Außenspiegel so eingestellt, ja vorher sogar durch normales, flaches Spiegelglas ausgetauscht, dass das Spiegelbild eine zusätzliche, mitunter verwirrende Bildinformation lieferte.
Eine vergleichbare Serie über die Transitstrecke existiert von keinem anderen Fotografen. Diese Reiseschilderung ist weder repräsentativ noch linear erzählt, vielmehr subjektiv und individuell. Der Weg war das Ziel. Den meisten Aufnahmen lässt sich kaum mehr der genaue Entstehungsort ablesen, sie sind irgendwo unterwegs im Niemandsland des Transits entstanden. Gleichzeitig ist dieser ungewöhnliche Blick, gewissermaßen von außen auf die DDR, heute, dreißig Jahre später, ein wertvolles historisches Dokument. Denn Authentizität und die Diskussion um die Authentizität spielte in der analogen Fotografie der 1980er-Jahre eine wichtige Rolle, also in einer Zeit, als die Fotografen noch Filmrollen in ihre Spiegelreflexkameras einlegten und als man der Realität noch traute und ihr bildwürdige Momente abzuringen versuchte.
Die Straßenschilder, nicht nur diejenigen, die auf die Transitstreckenführung hinweisen, eröffnen einen Blick in die deutsch-deutsche Historie, etwa wenn "Berlin – Hauptstadt der DDR" auf einem Schild am Straßenrand auftaucht, als Hinweis auf diese politisch eigentlich unmögliche Kapitale. Nur wenige Menschen tauchen hier auf, nur gelegentlich werden die Abgebildeten zu Hauptdarstellern auf dieser transitorischen Bühne, etwa Volkspolizisten, die am Rande der Autobahn die Geschwindigkeit der Autofahrer maßen, und, wenn die Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h überschritten wurde, auch drastisch abkassierten.
In den USA, wohin Pieler kurz zuvor eine ähnliche Reise unternommen und von der er entsprechende Bilder mitgebracht hatte, wurden bekanntlich das Genre des "Roadmovies" und seine Spielarten in Form von statischen Bildern oder Erzählungen geboren. So entstand immer wieder auch eine Hommage an die sprichwörtliche Freiheit des Landes. Davon kann bei Pieler und Lützen nicht die Rede sein, ganz im Gegenteil. Sie übertrugen die Essenz dieses Genres vom „Wilden Westen“ schlicht auf den, wie sie damals sagten, "Wilden Osten".
In manchen Aufnahmen der Sequenz schauen wir weit über die Brandenburger Felder, wir blicken gleichzeitig voraus und durch den Rückspiegel zurück, und das ist durchaus metaphorisch zu verstehen: Zukunft und Vergangenheit verbinden sich gleichsam in einer Aufnahme, während das fahrende Gehäuse die gegenwärtige Verortung bildet. Die Leitplanken der Autobahnen markieren nicht nur das Ende der Straße, sondern auch den Übergang von der erlaubten zur verbotenen Zone. Bilder von der Rast ergänzen und verändern die Perspektive auf das Unterwegssein.
Mit ihrer Fotoserie waren Pieler und Lützen dem öffentlichen Raum als Bühne auf der Spur; sie zergliederten die Fahrt auf der Transitstrecke in unterschiedliche Abschnitte, in visuelle Erinnerungsschnipsel. Besonders die Untersuchung der Zeichen und Zeichensysteme innerhalb der Bilder ist aus dem heutigen Blickwinkel heraus interessant – und gleichzeitig sind die Fotos eine Erinnerung an die Zweistaatlichkeit in Deutschland, die vor 25 Jahren endete. Die Transitstrecken von und nach Berlin entsprachen einer real existierenden und gleichzeitig negativen Utopie. (Matthias Harder)